Ich hörte erzählen: Wenn ein schönes Mädchen oder eine neue Dame, die schön
war, an den Hof kam, machte er sich alsbald an sie heran, redete sie an und
sagte, er wolle sie mit seiner Hand dressieren. Was
für ein Dresseur! Ich glaube, die Mühe war nicht so
groß, wie wenn er ein wildes Füllen zu dressieren gehabt hätte.
-
(
brant
)
- Lazarillo
von Tormes, nach (
schel
)
Mildtätigkeit (3) Ich gehe die Rue de l'Eperon hinauf, um auf der Post Geld abzuheben. Mitten auf der Straße sehe ich eine bettelnde ältere Frau, die etwas dürftig, aber nicht zu erbärmlich gekleidet ist. Die Frau, ein Mannweib eher denn ein Haufen Elend, bettelt aufdringlich, mit greinender Stimme und fügt - ein für sie sicher durchschlagendes Argument - hinzu, sie könne ja schließlich nicht stehlen gehen. Ihr offenkundig gespieltes Gegreine bringt mich auf, und an ihrer ganzen Gestalt ist etwas, das mich anwidert. Ich gebe ihr nichts und setze, stracks wie aus der Pistole geschossen, meinen Weg fort.
Schon gleich mache ich mir aber diese erste Regung zum Vorwurf, und die Reaktion verstärkt sich noch, während ich am Postscheckschalter anstehe. Da ich nicht feige durch eine andere Straße zurückgehen will, kann ich der Bettlerin anständigkeitshalber nicht eine kleine Gabe verweigern, wenn ich mit Geld versehen von der Post zurückkomme, sage ich mir.
In denselben abgetragenen Mantel aus grobem braun-beigen Stoff gehüllt, finde ich sie dann auch wieder. Aber jetzt ist sie nicht mehr mitten auf der Fahrbahn, wo sie wohl kaum viele Autos gestört haben, sondern sie steht auf dem Trottoir, mit dem Rücken fast an die Hauswand gelehnt.
Als sie das Einfrancstück und die drei Zwanzigcentimesstücke - ein Mehrbetrag
zum Ausfegen der Gewissensbisse - von mir erhalten hat (ich lege das Geld in
das aufgeklappte alte Portemonnaie, das sie mir hinhält) und sich mit einem
breiten, liebenswürdigen Lächeln bedankt und mir dann mit einer salbungsvollen
Stimme, die ganz anders klingt als vor ein paar Minuten, »noch einen Schönen
Tag« wünscht (was mir eigentlich behagen müßte, denn meine Tage sind augenblicklich
bei weitem nicht die besten), widert sie mich noch mehr an als vorhin, und ich
werfe mir vor, keineswegs aus Seelengüte, sondern aus einem törichten menschlichen
Respekt heraus das getan zu haben, was man gemeinhein als eine Geste der Mildtätigkeit
betrachtet. - (
leiris2
)
Mildtätigkeit (4) Gefragt, weshalb die Leute den
Bettlern Gaben spendeten, den Philosophen aber nicht, erwiderte er: »Weil sie
mit der Möglichkeit rechnen, dereinst selbst lahm
oder blind zu werden, niemals aber damit, zu philophieren.« - (
diog
)
Mildtätigkeit (5) Eine uns benachbarte alte Dame
war in ihrer Mildtätigkeit zu weit gegangen. Sie hatte, wie sie geglaubt hatte,
einen armen Türken zu sich genommen, welcher anfänglich
auch über die Tatsache, daß er jetzt nicht mehr in einer zum Abreißen bestimmten
Bauhütte existieren mußte, sondern jetzt, durch die Mildtätigkeit der alten
Dame in ihrem in einem großen Garten gelegenen Stadthaus leben durfte, dankbar
gewesen war. Er hatte sich bei der alten Dame als Gärtner nützlich gemacht und
war von ihr nach und nach nicht nur neu eingekleidet, sondern tatsächlich verhätschelt
worden. Eines Tages war der Türke auf dem Polizeikommissariat erschienen und
hatte angegeben, er habe die alte Dame, die ihn aus Mildtätigkeit ins Haus genommen
habe, umgebracht. Erwürgt, wie die Gerichtskommission bei einem sofort angesetzten
Lokalaugenschein festgestellt hatte. Als der Türke von der Gerichtskommission
gefragt worden war, warum er die alte Dame umgebracht und also erwürgt habe,
antwortete er, aus Mildtätigkeit. -
Thomas Bernhard, Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main 1978
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