ildtätigkeit   Vom Kardinal von Lothringen sagte ein armer Blinder, an dem er in Rom vorüberschritt und dem er auf dessen Bitte nach seiner Gewohnheit eine große Handvoll Geld zuwarf, mit einem lauten Aufschrei: »Entweder bist du Christus oder der Kardinal von Lothringen.« Gab er Almosen und war er mildtätig, so war er auch gegen andre Leute freigebig, besonders Damen gegenüber, die er mit diesem Köder leicht zu fassen bekam; denn das Geld war damals nicht in solchem Überfluß vorhanden wie heute, und deshalb schleckerten sie mehr danach, wie auch nach Schmausereien und Schmucksachen.

Ich hörte erzählen: Wenn ein schönes Mädchen oder eine neue Dame, die schön war, an den Hof  kam, machte er sich alsbald an sie heran, redete sie an und sagte, er wolle sie mit seiner Hand dressieren. Was für ein Dresseur! Ich glaube, die Mühe war nicht so groß, wie wenn er ein wildes Füllen zu dressieren gehabt hätte. - (brant)

Mildtätigkeit (2)  Am Samstag ißt man dortzulande Hammelkopf, und ich mußte jedesmal einen für drei Maravedis kaufen. Den kochte mein Priester, Augen und Zunge, Nacken, Hirn und das Fleisch, das an den Kinnbacken sitzt, und zum Schluß reichte er mir auf einem Teller alle die abgenagten Knochen und sagte: »Nimm und iß, Lazaro, und frohlocke, denn sieh, dein ist die Welt! Du führst ein herrlicheres Leben als der Papst.« Gott gebe dir desgleichen! erwiderte ich im stillen. - Lazarillo von Tormes, nach (schel)

Mildtätigkeit (3)  Ich gehe die Rue de l'Eperon hinauf, um auf der Post Geld abzuheben. Mitten auf der Straße sehe ich eine bettelnde ältere Frau, die etwas dürftig, aber nicht zu erbärmlich gekleidet ist. Die Frau, ein Mannweib eher denn ein Haufen Elend, bettelt aufdringlich, mit greinender Stimme und fügt - ein für sie sicher durchschlagendes Argument - hinzu, sie könne ja schließlich nicht stehlen gehen. Ihr offenkundig gespieltes Gegreine bringt mich auf, und an ihrer ganzen Gestalt ist etwas, das mich anwidert. Ich gebe ihr nichts und setze, stracks wie aus der Pistole geschossen, meinen Weg fort.

Schon gleich mache ich mir aber diese erste Regung zum Vorwurf, und die Reaktion verstärkt sich noch, während ich am Postscheckschalter anstehe. Da ich nicht feige durch eine andere Straße zurückgehen will, kann ich der Bettlerin anständigkeitshalber nicht eine kleine Gabe verweigern, wenn ich mit Geld versehen von der Post zurückkomme, sage ich mir.

In denselben abgetragenen Mantel aus grobem braun-beigen Stoff gehüllt, finde ich sie dann auch wieder. Aber jetzt ist sie nicht mehr mitten auf der Fahrbahn, wo sie wohl kaum viele Autos gestört haben, sondern sie steht auf dem Trottoir, mit dem Rücken fast an die Hauswand gelehnt.

Als sie das Einfrancstück und die drei Zwanzigcentimesstücke - ein Mehrbetrag zum Ausfegen der Gewissensbisse - von mir erhalten hat (ich lege das Geld in das aufgeklappte alte Portemonnaie, das sie mir hinhält) und sich mit einem breiten, liebenswürdigen Lächeln bedankt und mir dann mit einer salbungsvollen Stimme, die ganz anders klingt als vor ein paar Minuten, »noch einen Schönen Tag« wünscht (was mir eigentlich behagen müßte, denn meine Tage sind augenblicklich bei weitem nicht die besten), widert sie mich noch mehr an als vorhin, und ich werfe mir vor, keineswegs aus Seelengüte, sondern aus einem törichten menschlichen Respekt heraus das getan zu haben, was man gemeinhein als eine Geste der Mildtätigkeit betrachtet. - (leiris2)

Mildtätigkeit (4)  Gefragt, weshalb die Leute den Bettlern Gaben spendeten, den Philosophen aber nicht, erwiderte er: »Weil sie mit der Möglichkeit rechnen, dereinst selbst lahm oder blind zu werden, niemals aber damit, zu philophieren.« - (diog)

Mildtätigkeit (5)  Eine uns benachbarte alte Dame war in ihrer Mildtätigkeit zu weit gegangen. Sie hatte, wie sie geglaubt hatte, einen armen Türken zu sich genommen, welcher anfänglich auch über die Tatsache, daß er jetzt nicht mehr in einer zum Abreißen bestimmten Bauhütte existieren mußte, sondern jetzt, durch die Mildtätigkeit der alten Dame in ihrem in einem großen Garten gelegenen Stadthaus leben durfte, dankbar gewesen war. Er hatte sich bei der alten Dame als Gärtner nützlich gemacht und war von ihr nach und nach nicht nur neu eingekleidet, sondern tatsächlich verhätschelt worden. Eines Tages war der Türke auf dem Polizeikommissariat erschienen und hatte angegeben, er habe die alte Dame, die ihn aus Mildtätigkeit ins Haus genommen habe, umgebracht. Erwürgt, wie die Gerichtskommission bei einem sofort angesetzten Lokalaugenschein festgestellt hatte. Als der Türke von der Gerichtskommission gefragt worden war, warum er die alte Dame umgebracht und also erwürgt habe, antwortete er, aus Mildtätigkeit. - Thomas Bernhard,  Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main 1978

 

Barmherzigkeit

 

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