Milchschaum  »Es mag tatsächlich ziemlich vorschnell erscheinen, Schlüsse auf das gesamte Universum aus dem kleinen Bereich zu ziehen, auf den wir beschränkt sind. Wer weiß, ob das gesamte sichtbare Universum nicht nur wie ein Wassertropfen auf der Erdoberfläche ist? Die Bewohner dieses Wassertropfens, die ihm gegenüber so winzig sind wie wir gegenüber der Milchstraße, könnten sich nicht vorstellen, dass sich außerhalb des Tropfens ein Stück Eisen oder lebendes Gewebe befinden, in denen die Materieeigenschaften völlig anderer Natur sind.«  

Emile Borel warf ein tiefes Problem auf, das entsteht, wenn man vom Lokalen auf das Globale (oder hier besser: auf das Universale) schließt, und nahm an, dass die Eigenschaften der Materie, darunter auch viele Eigenschaften, die wir für unveränderlich halten, von Ort zu  Ort verschieden sein könnten. Das Szenario eines inflationären Universums erlaubt derartige Variationen. Nach diesem Modell gelangte das Universum in den ersten Momenten der Expansion unter den Einfluss von Materie, deren Schwerkraft abstoßend wirkte. Das beschleunigte die Expansion auf dramatische Weise (daher auch der Begriff ›inflationär‹), aber in verschiedenen Bereichen fand die beschleunigte Expansion zu verschiedenen Zeiten statt. Das Ergebnis sieht aus, wie wenn man Milchschaum auf zufällige Weise erhitzt.

Einige Blasen expandieren sehr, andere nur wenig. Wir befinden uns heute im Inneren eines Bereichs, der sehr stark expandierte - ausreichend stark, um Sternen und lebenden Beobachtern die Existenz zu ermöglichen. Unsere ›Blase‹ erstreckt sich höchstwahrscheinlich viel weiter ins All als der Horizont des derzeit sichtbaren Universums. Es wäre ein höchst seltsamer Zufall, wenn die beiden Distanzen identisch wären. Alles innerhalb der Blase hat, um dieses Bild aus der Biologie zu übertragen, den gleichen genetischen Code, also die gleichen physikalischen Gesetze und Strukturen. Wir können angeben, wie unterschiedlich die Expansion in unserem sichtbaren Universum von Region zu Region ausgesehen hat und können daher auch das Muster ihrer Spuren am Himmel vorhersagen.

In den letzten Jahren hat man große Anstrengungen unternommen, diese ganz besonderen Spuren, die unserer Blase von der Expansion vor etwa 14 Milliarden Jahren aufgeprägt wurden, in der so genannten Hintergrundstrahlung zu finden. Sie enthält die ›eingefrorenen‹ Anzeichen der Quantenfluktuationen, die bei dem Streckungs- und Expansionsprozess unserer Blase ausgelöst wurden, und hat damit jenen Hauch der Entstehung des Universums bewahrt, den wir sogar in Form von Interferenzen auf unseren Fernsehschirmen wahrnehmen können. Aus diesen Fluktuationen entstanden schließlich die Sterne und Galaxien, die das heute sichtbare Universum füllen. Wenn wir die Strahlung mit besonders empfindlichen Geräten untersuchen, sind wir in der Lage, aus dem allgemeinen Rauschen ihre Feinstruktur he-rauszufiltern und aus ihr Informationen über unsere inflationäre Vergangenheit zu gewinnen. Die Messergebnisse stimmen erstaunlich gut mit den Vorhersagen der einfachsten Inflationstheorien überein.

Aber genug über unsere Blase. Was ist mit den anderen, vielleicht unendlich vielen Blasen, die jenseits unseres Sichtbarkeitshorizonts liegen? Wenn sie sich auf unterschiedliche Weise aufgebläht haben, werden sie auch in Zukunft ein anderes Schicksal als unsere Blase haben. Ihre Feinstrukturen werden anders sein, sie werden andere Arten von Galaxien enthalten, ja vielleicht überhaupt keine Galaxien. Was die Verteilung der Materie betrifft, werden es völlig andere Welten sein. Es wird so ähnlich sein, wie wenn man auf unserer Erde eine große Reise macht und einen Kontinent durchquert. Die Unterschiede könnten aber noch weit spektakulärer sein. Nach einigen Theorien des inflationären Universums könnten sogar die ›Naturkonstanten‹ in den verschiedenen Blasen verschieden ausfallen - und damit die Physik mit allen praktischen Auswirkungen. Nur in einigen Blasen wären eine Biochemie und Leben möglich. Am überraschendsten ist, dass sich von Blase zu Blase sogar die Zahl der Dimensionen des Raums ändern könnte. Die modernen Theorien über die Naturkräfte machen mathematisch nur Sinn, wenn man von weit mehr als den drei Raumdimensionen ausgeht, mit denen wir uns im Alltag begnügen. Die derzeit favorisierten Theorien basieren auf zehn Dimensionen, und wir müssen uns vorstellen, auf der dreidimensionalen Haut dieser zehndimensionalen Welt, der so genannten ›Brane‹-Welt zu leben, wie sie von ihren Erfindern genannt wird. Der Theorie nach sind bei der Expansion des Universums nur ›unsere‹ drei Dimensionen groß geworden, während die anderen klein blieben, so klein, dass wir sie heute nicht mehr wahrnehmen können. Viele Fragen bleiben allerdings noch offen. Warum sind drei Dimensionen groß geworden? Bestimmen die physikalischen Gesetze, dass es drei sind oder hat der Zufall darüber entschieden? War es Zufall, könnte es auch Blasen mit sieben oder zwei oder überhaupt keinen ›großen‹ Dimensionen geben.

Wir wissen nicht, ob dieses Szenario stimmt. Es sind gewaltige Anstrengungen gemacht worden, um beobachtbare Auswirkungen der zusätzlichen Dimensionen auf unsere 3-D-Welt zu entdecken. Wenn in den fundierten Theorien der Naturkräfte solche Möglichkeiten zutage treten, können wir daraus lernen, dass das beobachtbare Universum mit seinen drei Dimensionen, vier Naturkräften und seiner endlichen Ausdehnung nicht nur ein kleiner Teil eines unendlichen Ganzen ist, sondern vielleicht auch ein wenig repräsentativer Teil.    - (bar2)

 

Milch Schaum

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme