Mietshaus   Über den Brand in Nummer 14 wurden die tollsten Dinge berichtet. Tatsache ist, daß selbst Seine Exzellenz Filippo Tommaso Marinetti nicht hätte extemporieren können, was sich da in Minutenschnelle in dem heulenden Käfig begab und dem Feuer hinwiederum augenblicks gelang: das scheuchte alle darin hausenden Frauen auf einmal, halb bekleidet, in den Hundstagen, zusammen mit ihrer ganzen Kinderschar aus der Stickigkeit und dem jähen Entsetzen des Baues hinaus; sodann einige männliche Einwohner, sodann einige arme Damen, die nach jedermanns Aussage recht schlecht zu Fuß waren und knochendürr und fahl und mit aufgelöstem Haar und weißen statt schwarzen Spitzenröcken erschienen und sich gesammelt verhielten wie sonst auf dem Kirchgang, sodann einige Herren, ebenfalls ein bißchen abgeschabt, sodann Anacarsi Rotunno, den italo-amerikanischen Dichter, sodann das Dienstmädchen des in Agonie befindlichen Garibaldiners von der fünften Etage, sodann den Achille mit dem kleinen Mädchen und dem Papagei, sodann den Balossi in Unterhosen mit der Carpioni in beiden Armen, nein, hier hab ich mich geirrt, es war die Maldifassi, und es sah aus, als sei der Teufel hinter ihr her und rupfte sie, weil sie auch so fürchterlich kreischte. Schließlich, bei all dem Geheul, den Ängsten,Tränen, Kindern, Schreien und Verzweiflungsrufen, Notlandungen und Sack und Pack, die rettungshalber aus den Fenstern geschmissen wurden, als man bereits die Feuerwehr anrasen hörte und zwei Lastautos schon etwa drei Dutzend städtischer Polizisten in weißen Uniformen entluden und auch das Rotkreuzauto nahte, da konnte sich schließlich das Feuer nicht mehr enthalten, aus beiden Fenstern rechts im dritten und gleich danach im vierten Stock seine erschreckenden, so erwarteten Funken freizugeben und seine Lohen in plötzlichem Aufzucken,züngelnd, rot, blitzschnell hervorstoßend und wieder verschwindend, mit schwarzkrausem Rauch, schmierig dieser und fettig wie von einem infernalischen Braten und nur danach geilend, sich in immer neue Ballen zu formen oder wie ein schwarzer Python um sich selbst zu winden, hervorgekommen aus der Tiefe, aus der Unterwelt, mit unheilvollem Leuchten; und glühende Riesenschmetterlinge, so schien es, vielleicht verbrannte Papiere oder, wahrscheinlicher, Stoffe oder Bespannungen, die über diesen ganzen rauchverschmutzten Himmel flatterten, zum neuerlichen Schrecken der Ungekämmten, deren einige im Staub der unfertigen Straße barfuß, andere in Pantinen standen, nicht achtend auf Pferdeseiche und Pferdeäpfel, inmitten des Geschreis und Gewimmers der tausendköpfigen Nachkommenschaft. Ihren Kopf, ihre vergebens ondulierten Haare fühlten sich schon zur grauenhaften lebendigen Fackel auflodern!... »Das Feuer«, sagen sie nachher alle, »ist eines der furchtbarsten Dinge, die es gibt.« Und das ist richtig: bei all der Hilfsbereitschaft und Perplexität der großartigen Feuerwehrleute, den Sturzbächen von Trinkwasser über die vollgepißten und grünen Sofas, denen diesmal allerdings ein gar häßliches Rot bevorstand, über die cifoni und großen Speiseschränke, die, gar von fünfzig Gramm verschwitztem Gorgonzola-Käse bewacht jedoch von der Flamme schon umzüngelt wurden wie das Reh von der Pythonschlange; den feinen Wasserstrahlen, wie flüssige Nadeln aus den aufgeblähten, durchweichten Schlangen der hänfenen Schläuche, und weiten, scharfen Sprühbögen aus den Messinghydranten, die sich in weißen Zotten und Wolken im heißen Augusthimmel verloren; den halbverkohlten, in Stücken herunterfallenden und auf dem Gehsteig mit einem Knall sich ganz zerschlagenden Porzellanisolatoren; den versengten, von ihren glühend gewordenen Konsolen in den Abend hineinfliegenden Telefondrähten, den schwarzen, schwebenden Halbinseln aus Pappe und den Montgolfieren aus verkohlten Dekorstoffen, und unten, zwischen den Füßen der Leute und hinter den Ausfahrleitern Fassungen, Schraubverschlüsse, Ansatzstücke,die nach allen Richtungen parabolische Strahlen in den Straßenschlamm spritzten, zertrümmertes Scheibenglas in einem Pfuhl aus Wasser und Schlamm, emaillierte Nachttöpfe voller Rüben, die - jetzt noch! - aus den Fenstern flogen, an die Stiefel der Retter, die Ledergamaschen des Einsatzkommandos, der Carabinieri, der Feuerwehrhauptleute; und dem anmaßenden unermüdlichen Klippklapp und Klippklapp und Klippklapp der Frauenpantinen beim Auflesen zerbrochener Kämme und Spiegelscherben, geweihter Bilder des heiligen Vincenzo de' Liguori, mitten im Gepantsche dieses katastrophalen Waschhauses. - Carlo Emilio Gadda, nach (eco)

Mietshaus (2) Valène träumte manchmal von Katastrophen und Unwettern, von Wirbeln, die das ganze Haus wie einen Strohhalm fortwehen und seinen schiffbrüchigen Bewohnern die unendlichen Wunder des Sonnensystems offenbaren würden; oder aber ein unsichtbarer Riss würde von oben bis unten durchs Haus gehen, wie ein Zittern, und mit einem langen und tiefen Krachen würde es sich teilen, auseinanderbrechen, langsam in ein unbeschreibliches klaffendes Loch hineinsacken; darauf würden Horden über es herfallen, Ungeheuer mit blaugrünen Augen, Rieseninsekten mit stählernen Kinnladen, blinde Termiten, große weiße Würmer mit unersättlichem Maul: Das Holz würde zerbröckeln, der Stein würde zu Sand werden, die Schränke würden unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen, alles würde zu Staub zerfallen. - (per)

Mietshaus (3)  Das Ganze ergibt eine recht ruhige Geschichte mit ihren Hundekotdramen und ihren Abfalleimertragödien, dem morgens zu früh eingeschalteten Radio der Bergers und ihrer Kaffeemühle, wovon Madame Reol aufgeweckt wird, dem Glockenspiel Gratiolets, über das Hutting sich unaufhörlich beklagt, oder den Schlaflosigkeiten Léon Marcias, die die Louvets nur schwer ertragen können: Stunden um Stunden läuft der alte Mann in seinem Zimmer hin und her, geht in die Küche, um sich ein Glas Milch aus dem Kühlschrank zu holen, oder ins Badezimmer, um sich Wasser übers Gesicht laufen zu lassen, oder stellt das Radio an und hört, ganz leise gestellt, aber für die Nachbarn immer noch zu laut, knatternde Programme vom andern Ende der Welt.  - (per)
 
 

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