Mieter  Ich erschrak bei dem Gedanken, der mich um ein Haar dazu bewogen hätte, den Gelähmten über mir mit meinem Neid zu überfallen, mit dem ich ihn vielleicht ermordet hätte. Dem war ich entgangen, denn jetzt war er vermutlich tot. Einfach gestorben, da alle Weiber die Stadt verlassen hatten ... nun würde ich nicht mehr, wenn ich mich nach oben schlich und an der Tür zur Bodenkammer horchte, das stockende Träufeln seines Urins in einen Blechtopf vernehmen können, sein Husten, wenn ihm seine Mutter die Zigarette anbrannte und er die ersten Rauchzüge zu gierig einsog, nicht mehr ihre Schimpfworte, mit denen sie ihn ob seiner Ungeduld ermähnte. - Nun war dort oben Stille, nichts mehr zu erlauschen als das Summen und Knistern des Sommers, inmitten eines Breis gelber Hitze würde sein graues Antlitz, mit den gefletschten Zähnen, zwischen denen ein Zipfel der zerbissenen Zunge klemmte, würde diese Larve, die selbst im Tod noch vom Sonneneinfall der Dachluke geblendet schien, langsam vertrocknen. - (hilb2)

Mieter (2)  Mit diesem höflichen jungen Mann, der so bescheiden, fast errötend die Fürsorge der Hausfrau entgegennimmt, ist der Tod ins Haus gekommen. Ehe drei Jahre um sind, ist der behäbige Wohlstand des Kleinbürgers zerschlagen, hat die Mutter sich im Gefängnis erhängt, hat die jüngere Tochter ihren jungen Gatten verloren, ist der Vater mit knapper Not dem Todesurteil entronnen, ist, was von der Familie noch übrig ist, in alle Winde zerstreut, verfolgt, verachtet und friedlos. Aber die Sterblichen sind zu ihrem Glück blind. Die Familie des Tischlers ist froh, den Unbestechlichen beherbergen zu dürfen. Er selbst kann sich nichts Besseres wünschen. Die Straße ist eine der besten von Paris, bis zum Konvent sind es nur einige Schritte, und der Jakobinerklub liegt ja auch gleich nebenan. Die Leute gefallen ihm, und als der Meister ihm vorschlägt, dauernd bei ihm Wohnung zu nehmen, da greift er zu. Das schmale Zimmer, in dem er die erste Nacht verbracht hat, und der Raum nebenan bleiben seine Wohnung, in der er schläft und arbeitet. Die Mahlzeiten nimmt er im Kreise der Familie ein, in deren Wohnzimmer er auch seine Freunde empfängt. Welchen Preis er für die ganze Regelung bezahlt, wissen wir nicht, aber Duplay wird auf jeden Fall nicht reich davon. - Friedrich Sieburg, Robespierre. München 1965 (zuerst 1935)

Mieter (3) Es war ein weiches Hin- und Hertippeln zu hören.

«Der alte Kerl», sagte Miss Carridge. «Nie ruhig.»

Glücklicherweise war Miss Carridge ein wortkarges Weib. Wenn Körpergeruch und Zungenfertigkeit zusammentreffen, gibt es keine Rettung.

Man hielt den Alten für einen ßutler im Ruhestand. Er verließ sein Zimmer nie, wenn er nicht unumgänglich dazu gezwungen war, und ließ auch niemand herein. Er nahm das Tablett, das Miss Carridge zweimal täglich vor seiner Tür abstellte, herein und stellte es wieder hinaus, wenn er gegessen hatte. Miss Carridges ‹Nie ruhig› war eine Übertreibung, denn er verbrachte in Wirklichkeit einen großen Teil seiner Zeit damit, kreuz und quer durch sein Zimmer zu laufen.   - (mur)

 

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