etrofensterspiel
Meine Spielregel war wahnsinnig
einfach, war schön, stupide und tyrannisch; wenn mir eine Frau gefiel, wenn
mir eine Frau die mir gegenübersaß, gefiel, wenn mir eine Frau, die mir gegenüber
am Fenster saß, gefiel, wenn der Blick ihres Spiegelbilds irr Fenster dem Blick
meines Spiegelbilds im Fenster begegnete, wenn mein Lächeln im Spiegelbild des
Fensters das Spiegelbild der Frau im Fenster verwirrte oder ihm gefiel oder
ihm mißfiel, wenn Margrit mich lächeln sah und Ana den Kopf senkte und eingehend
den Verschluß ihrer roten Tasche untersuchte, dann lief das Spiel, ganz gleich,
ob mein Lächeln beachtet, erwidert oder ignoriert wurde, die erste Phase des
Rituals war damit abgeschlossen: ein Lächeln, das von der Frau, die es verdient
hatte, registriert wurde. Dann begann der Kampf in der Grube, kribbelten die
Spinnen im Magen, hangelte sich die Hoffnung von Station zu Station. Ich erinnere
mich, wieso ich mich an diesen Tag erinnert habe: jetzt waren es Margrit und
Ana, aber vor einer Woche waren es Paula und Ophelia gewesen, das blonde Mädchen
war an einer der übelsten Stationen ausgestiegen, Montparnasse-Bienvenue, die
ihren stinkenden Rachen den größten Möglichkeiten des Scheiterns öffnet. Ich'wollte
in die Linie Porte de Vanves umsteigen, und schon im ersten Durchgang wurde
mir klar, daß Paula (daß Ophelia) in den Gang einbiegen würde, der zur Linie
Mairie d'Issy fuhrt. Da war nichts zu machen, ich konnte sie nur ein letztes
Mal an der Kreuzung der Gänge anschauen, zusehen, wie sie sich entfernte, eine
Treppe hinunterging. Die Spielregel war folgende: ein Lächeln in der Fensterscheibe
und das Recht, einer Frau zu folgen und verzweifelt zu hoffen, daß sie in dieselbe
Linie umsteigen werde, für die ich mich vor jeder Fahrt entschieden hatte; und
dann - bis jetzt jedesmal - mußte ich sehen, wie sie in einen anderen Gang einbog,
so daß ich ihr nicht folgen konnte, mich genötigt sah, in die Oberwelt zurückzukehren
und ein Café zu betreten und weiterzuleben, bis allmählich, nach Stunden oder
Tagen oder Wochen, das Verlangen von neuem die Möglichkeit erheischt, daß einmal
alles zusammentrifft, eine Frau, die Fensterscheibe, ein akzeptiertes oder zurückgewiesenes
Lächeln, Umsteigestationen und Anschlüsse, und dann, ja dann endlich das Recht,
mich ihr zu nähern und das erste Wort zu sagen, zäh von stockender Zeit, vom
endlosen Hader mit den kribbelnden Spinnen in der Tiefe der Grube. - Julio Cortázar,
Beleuchtungswechsel. Ertählungen Bd. 3. Frankfurt am
Main 1998
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