essen   Die Anthropometrie basierte nach Bertillon auf drei Prinzipien. Erstens: der fast absoluten Unveränderlichkeit des menschlichen Knochengerüstes vom 20. Lebensjahre an. Nur die Körperlänge oder genauer die Schenkelknochenlänge verändert sich nach Bertillons Ansicht noch während des 20.-23. Jahres, "aber so unbedeutend, daß es leicht ist, dieser Zunahme Rechnung zu tragen. Dieselbe wird übrigens erfahrungsgemäß durch eine gegen das 20. Jahr beginnende Krümmung der Wirbelsäule ausgeglichen". Zweitens: der außerordentlichen Verschiedenheit der Maße der einzelnen Menschen. Es ist nach Bertillon unmöglich, zwei Menschen von so ähnlichem Knochenbau zu finden, daß sie verwechselt werden können. Drittens: der Leichtigkeit und Genauigkeit, mit der nach Bertillons Ansicht einzelne Maße an der lebenden Person mit sehr einfachen Instrumenten festgestellt werden können.

Unter den zahlreichen Messungen, die am menschlichen Körper vorgenommen werden können, hat Bertillon folgende gewählt: Körpergröße, Armspannweite, Sitzhöhe, Kopflänge, Kopfbreite, Länge des rechten Ohres, Breite des rechten Ohres, Länge des linken Fußes, des linken Mittelfingers, des linken Kleinfingers, des linken Vorderarmes. Später hat Bertillon die Ohrbreite durch die Jochbeinbreite ersetzt.

Die Art, wie die Maße genommen wurden, war nach Bertillon folgende: Die Körperlänge wurde mit einem hölzernen Schieber auf einem an einer Mauer angebrachten Metermaß festgestellt. Die zu messende Person stand barfuß mit dem Rücken an die Meterskala gelehnt. Die Spannweite der waagerecht ausgestreckten Arme wurde an einem an einer Mauer angebrachten horizontalen Metermaß festgestellt. Bei der Messung der Sitzhöhe saß die Person auf einem Schemel vor dem Meßstab. Unter Kopflänge und Kopfbreite verstand Bertillon die beiden größten Durchmesser des Kopfes. Sie wurden mit einem Zirkelmaß festgestellt. Die Kopflänge maß man von der Nasenwurzel bis zum vorspringendsten Punkt des Hinterhauptes. Die Messung der Kopfbreite war etwas schwieriger, weil man hier nicht, wie bei der Messung der Kopflänge in der Nasenwurzel, einen fixen Punkt zum Ausgangspunkt der Messung hatte, sondern die Linie der größten Breite erst suchen mußte, und zwar durch Abtasten des Kopfes mit den waagerecht und symmetrisch geführten Zirkelspitzen. Beide Kopfmaße mußten immer kontrolliert werden, und zwar sofort nach ihrer ersten Ermittlung. Zu diesem Zwecke wurden die beiden Schenkel des Zirkels mit der Stellschraube auf dem erhaltenen Maße festgestellt, das Instrument wurde von neuem an den Kopf gebracht und solange korrigiert, bis beide Zirkelenden den wünschenswerten Kontakt mit den Endpunkten der gemessenen Linie erlangt hatten.

Die beiden Ohrabmessungen, ebenfalls die Maximalwerte für Länge und Breite, wurden mit einem speziellen kleinen Schiebermaß geniessen, wobei besonders darauf geachtet werden mußte, die weichen Teile des Ohres nicht zu drücken. Diese beiden Messungen waren die einzigen, welche auf der rechten Körperseite der zu messenden Person vorgenommen wurden; alle noch folgenden geschahen auf der linken Seite. Das rechte Ohr wurde gewählt, weil auch für die Profilbilder des Verbrecheralbums die Wahl der rechten Gesichtsseite die gebräuchliche war.

Der nackte linke Fuß wurde gemessen, während er, mit dem ganzen Körpergewicht belastet, sich auf dem Fußboden oder besser auf einem Schemel vollständig breittrat, wobei der rechte Fuß nach rückwärts zu erheben war. Die Meßschiene eines größeren Schiebermaßes wurde an der inneren Seite des Fußes entlang so angelegt, daß der feststehende Arm die Ferse und der Schieber leicht die Spitze der großen Zehe berührten. Der Mittelfinger und der Kleinfinger der linken Hand wurden rechtwinklig zum Handrücken mit demselben Instrument gemessen. Diese beiden Angaben hatten einen ganz besonders kennzeichnenden Wert, vorausgesetzt, daß die Messungen genau nach Vorschrift vorgenommen wurden. Der linke Vorderarm wurde von der Ellbogenspitze bis zur Mittelfingerspitze gemessen, das Ellbogengelenk mußte dabei einen spitzen Winkel bilden, die innere Handfläche flach auf dem Tisch liegen. Um gut ausgeführt werden zu können, erforderte diese Messung die Anwendung eines hohen, schmalen Tischgestelles.

Die Maße, die Bertillon ausgewählt hatte, waren zweifellos die relativ sichersten. Dennoch hat Bertillon selbst eingesehen, daß bei zweimaliger Messung ein und desselben Individuums kleine Differenzen unvermeidlich waren. Er hat deshalb eine Tabelle der "zulässigen Differenzen" aufgestellt.

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Um Abhilfe zu schaffen und die Bertillonsche Methode zuverlässiger zu machen, wurde vor allem eine drastische Vermehrung der Meßpartien vorgeschlagen:
Messung der Schulterhöhe
Messung der Ausstülpung des Oberarmknochens bei seiner oberen Insertion
Messung der Schulterbreite Länge der Handfläche
Höhendurchmesser des Kopfes Nasenhöhe
Gesichtshöhe
Entfernung zwischen den inneren und äußeren Augenwinkeln
usw. usw.

Allein es zeigte sich, daß dadurch eine nicht zu verantwortende Arbeits- und Zeitverschwendung eintrat, die eine Überforderung der Meßbeamten befürchten ließ; außerdem war mit der Erweiterung der Prozedur eine ganz unmögliche Quälerei des zu Identifizierenden verbunden, die den Beamten nicht zugemutet werden konnte. - (net)

Messen (2)
Beschreibung Maß Vergleich
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