"xy"
(Berliner Abendblatt, ca. 1810, nach: Dieter
Hild
ebrand, Berliner
Enzyklopädie. München 1996 (dtv 12224, zuerst Hanser 1991)
Menschenmachen
(2)
Am
24. Julii 1797. gegen halb drei Uhr des Nachmittags wurde mir mein siebentes
Kind, ein Knabe, sehr glücklich geboren. Ich war
sehr bewegt. An demselben Tage erhielt ich einen
Brief von meinem Bruder datiert: Gotha den 20. Juli, worin er mir von dem
kleinen Knaben, den er von dem Tischler Paul adoptiert hat, obgleich der
Vater noch lebt, sagt daß es eines der schönsten Kinder sei, die er je
gesehen habe, und er fände es, wie manche Römer, angenehmer anderer Leute
Kinder zu erziehen, als sich die Mühe zu nehmen selbst welche zu machen.
- Hier will ich ihn beim Wort halten. Ich will ihm Kinder genug zu erziehn
geben, die er nicht gemacht hat, und gegen die er mehr Verbindlichkeiten
hat, als gegen die von dem Tischler Paul. Meine eigenen, die ich, sein
Bruder, selbst gemacht habe.
Meines Bruders Brief enthielt einige vortreffliche Erinnerungen an unsres
unvergeßlichen Vaters Sterbe-Tag, wegen des Datums.
Mein Brief an ihn, worauf der seinige die Antwort war, war den 17ten Juli,
den Sterbe-Tag meines Vaters, datiert, (er starb den 17. Juli 1751.) Mein
lieber Bruder wird sich meiner armen Kinder gewiß annehmen, wenn es ihm
gehörig vorgestellt, und er zugleich an unsere Mutter
erinnert wird. - (
licht
)
Menschenmachen
(3)
Auf meinen Probiertisch, Die leblosen Gliederchen hängen schief, die Aeuglein drehn
sich nicht, Hier renke ich ein Rückgrat ein, Dann nehme ich ein Prieschen, So. Nun stippe ich in den Farbentopf. Polichinell, der noch zu gebildet
aussieht, kriegt als Nase eine Leberwurst,
Colombinchen, noch immer nicht schön genug, ein Zinnobermäulchen,
|
- Arno Holz, Phantasus
(1898)
Menschenmachen
(4)
Wir
schritten auf einen der größeren Öfen in der Ecke zu. - »»Natürlich, -
sagte mein Begleiter, - der Prozeß ist Geheimnis! - Wir nehmen Erde dazu,
wie der Schöpfer des ersten Menschenpaares im Paradies, wir mischen sie,
wir manipulieren mit ihr, wir lassen sie verschiedene Wärme- und Hitzegrade
durchmachen, - und das Alles kann ich Ihnen zeigen, - aber den eigentlichen
Kernpunkt, das Beleben, und besonders das Erwachen
unserer Menschen, ist Fabrik-Geheimnis.««
- »Ich will Ihre infernale Kunst nicht kennen, entgegnete ich, und ich
wollte. Sie kannten sie auch nicht, fügte ich hinzu; jährlich vielleicht
Tausende von Kreaturen in die Welt zu setzen, die nichts weiter sind wie
Faullenzer....«- »»Bitte, beobachten sie einmal diese Formen!«« - unterbrach
mich der kleine Direktor, ohne auf meine letzte Bemerkung einzugehen. Ich
sah durch das Guckloch. In einem anscheinend feuchtwarmen, von der Außenluft
abgeschlossenen. Baderaum lag ein wunderschönes Mädchen,
anscheinend schlafend, halb bekleidet, an einem künstlichen Rasengrund
angelehnt, aber alles ganz weiß, wie aus feuchtem Thon erst hergestellt,
und augenscheinlich unvollendet; Formen, Positur, Draperie, die Füßchen,
Schuhe, die durchbrochenen Strümpfe, der Spitzen-Besatz, Alles in reizender
Harmonie, und mit künstlerischer Vollendung. - »»Wenn Sie jetzt noch etwas
auszusetzen haben, sprach der Direktor vom andern Guckloch her, welches
er eingenommen hatte, so ist's jetzt noch Zeit; jetzt ist Alles noch weich,
eindrucksfähig, dehnbar; sind die Augen einmal fertig, erscheint die Röte
des Herzschlages auf ihren Wangen, erwacht sie, dann ist es zu spät; dann
ist sie, was sie ist, ein Mädchen, heiter, launisch,
kokett, eigensinnig, dick, dünn, schwarz, brünett mit allen Fabrikfehlern.««
- Oskar Panizza, Die Menschenfabrik, in: ders., Der Korsettenfritz.
Geschichten. München 1981 (zuerst ca. 1890)
Menschenmachen
(5)
»Ich
begreife nur Eines nicht, - nahm ich nach einiger Zeit das Wort, - wenn
Sie Menschen machen wollen, müssen Sie doch ganz genaue Kenntnisse der
Anatomie und Psychologie haben. - Prometheus machte Menschen aus eine Art
Ur-Dreck, aber Pallas Athene hauchte ihnen erst das Leben ein. Was haben
Sie, das Ihnen die göttliche Hilfe entbehren läßt?« -»»Chemie und Physik
läßt uns heute über Manches hinwegsehen!«« - »Gut, die Naturgesetze sind
uns heute in einem Grade bekannt, der staunenswert ist; aber wie selbe
in einem menschlichen Körper applizieren, wo doch ganz andere Bedingungen
herrschen, als in der unorganisierten Natur? Nehmen Sie nur das Heer der
komplizierten Empfindungen, die in eines Menschen Brust sitzen, wie....?«
- » »Wir machen sie alle nach!« « - warf schnell das wieder lebhaft gewordene Männchen ein. - »Aber wie ? entgegnete ich, - wie konstruieren Sie z.B. die ästhetischen Sensationen? - nach Herbart, oder Lotze?« - »»Sind das Hamburger? - Oder eine Berliner Firma?«« - Das sind weder Hamburger noch Berliner, sagte ich zornig, - das sind deutsche Philosophen, welche die Grundgesetze der Psychologie für alle Zeiten festgestellt haben, außerhalb welcher Empfindungen beim Menschen unmöglich sind!« -
»»Sie stellen sich das Menschen-machen doch zu schwer vor, Verehrtester!««
- erwiderte etwas verlegen der Alte. - Oskar Panizza, Die
Menschenfabrik, in: ders., Der Korsettenfritz. Geschichten. München 1981
(zuerst ca. 1890)
Menschenmachen
(6) W
enn
wir behaupten, daß es das natürliche Recht des Menschen sei, um seine Nachkommen
kennenzulernen, sie zu erziehen, eine eigene Frau zu haben, eine eigene
Wohnung und eigene Kinder, so leugnen sie das, indem sie sagen, daß die
Zeugung, wie der heilige Thomas
lehrt, zur Erhaltung der Art und nicht des Individuums
da sei; also sei die Erzeugung der Nachkommenschaft Sache des Staates und
nicht der Einzelnen, es sei denn, insofern diese Glieder des Staates sind.
Da aber diese meistens sinnlos zeugen und ihre Kinder sinnlos zum Verderben
des Staates erziehen, deshalb überlassen sie jene der Fürsorge der Behörden
- gleichsam als erster und heiligster Pflicht des Staates. Und ihre Sicherung
ist Gemeinschaftssache, nicht aber Einzelaufgabe. Daher verbinden sie auch
Väter und Mütter von bester Veranlagung nach philosophischen Grundsätzen.
Platon ist der Meinung, diese Verbindung müsse durch das Los geschehen,
damit nicht diejenigen, die sich um die schönen Frauen betrögen sehen,
sich aus Eifersucht und Zorn gegen die Behörden erheben; er glaubt auch,
daß man diejenigen, die nicht verdienen, mit schönen Frauen zusammenzukommen,
täuschen müsse, indem die Lose von den Beamten mit List so gezogen würden,
daß sie immer jenen zufallen, denen sie zukommen, und nicht denen, die
sie begehren.
Diese List aber ist bei den Sonnenstaatlern nicht nötig, damit häßliche
Männer häßliche Frauen erlosen. Denn unter ihnen findet man keine Entstellung.
Durch die regelmäßigen Leibesübungen bekommen
die Frauen lebhafte Farben und kräftige, starke und geschmeidige Glieder;
in hohem Wuchs und straffem Körperbau besteht bei ihnen die Schönheit.
Deshalb soll auch jede Frau mit dem Tode bestraft werden, die ihr Gesicht
schminkt, um schön
zu wirken, oder hohe Absätze trägt, um groß zu erscheinen, oder Schleppkleider,
um mißförmige Füße zu verbergen. Selbst jedoch wenn sie es wünschten, hätten
sie keinerlei Möglichkeit, es zu tun. Denn wer sollte ihnen derlei geben?
Sie behaupten auch, daß derartige Mißbräuche bei uns aus dem Müßiggang
und der Trägheit der Frauen entstehen; dadurch entfärbten sie sich, würden
bleich und kraftlos und verkümmerten. - Tommaso Campanella,
Der Sonnenstaat. In: Der utopische Staat. Hg. Klaus J. Heinisch. Reinbek
b. Hamburg 1970 (zuerst ca. 1602)
Menschenmachen
(7)
anbohren,
anbrungern sich eine anschnallen sich ausschleimen den Bachwalm versenken belaxeln
beleimsen Belmonte und Konstanz aufführen bimsen bletzen bohlen Bolzerei treiben
Eier rupfen, zupfen eindillen einschneiden erste Fahrt machen (in der Eisenbahn)
fiedeln focken, fücken fosen fuchsen fummeln Galle nehmen, Kalle nehmen gehirnen
geigen haspeln in die Hebin gehn Hoden putzen einer Kantum machen kirmen erster
Klasse fahren klettern knallen knüllen kobern kommeln, kammeln, kaumeln krönen
machern meschammesch sein nageln natzgern noiseln linke Fallen pflanzen pimpern
Porzellan fahren (in der Kutsche) pudern pulen quintipsen racheideln auf die
Rassel gehn riestern in die Muschel rotzen einen Rührer holen Schiebern schießen
Schimmusch machen schinkeln seinen Schlamm abladen schlanen schnallen, Schnallenritt
machen Schnallenrennen machen schnirgeln schockeln schumpeln schustern Steigatts
machen, Steigauf machen einen Stepp machen Stixi Bonbon machen, geben in die
Suppe gehn werfen zusammenstechen - (
kas
)
Menschenmachen
(8)
Prometheus
begann einen Rumpf zu wölben, und es war ihm, als wachse der Lehm von selbst
zur gewünschten Gestalt. «Ich werde mir Gefährten schaffen», sprach er, die
Rippenbögen kerbend, «ich schaffe dem Planeten ein neues Geschlecht! Es wird
anders sein als die Titanen und Götter, und anders auch als die Pflanzen und
Tiere. Wir werden uns eine Insel im Südmeer suchen, dort wollen wir unser Reich
erbauen. Liebe und Gerechtigkeit werden darin herrschen. Es wird eine Insel
der Glücklichen sein.»
Arme und Beine fügten sich an den Rumpf. Ein Taumel von Freude und Schöpferdrang überkam den Titanen. Essen und Trinken waren vergessen. Lange und sorgfältig hatte er die schwierigen Gelenke der Ellbogen, Knie, Hände und Finger geformt; nun hob sich der Hals aus den Schultern, nun rundete sich der Schädel, nun spalteten sich die Lippen auf und wuchsen die Schläfenhänge über die Backenknochen. Glattes Haar oder Locken? Kräuselhaare. Ungläubig betrachtete der Schöpfer sein Werk.
Das Lehmwesen stand frei auf den Beinen, ohne daß man es zu stützen brauchte. Sie waren zwar ein wenig kurz, diese Beine, und die Arme waren ein wenig lang, und der Bauch war ein wenig rundlich geraten, aber was wollte das besagen, da wahr- und leibhaftig ein Gleichgestaltetes vor ihm stand, nur eben, daß dieses Gleichgestaltete noch kein Leben besaß. Jedoch wie konnte Leben in ihm sein, da es ja weder Mann noch Frau war. «Du sollst ein Mann sein», sprach Prometheus und schuf seinem Gefährten das Glied der Mannheit, und nun, so hatte er gehofft, würde den Lehm ein Ruck durchfahren, eine Art inneres Niesen oder Schnauben, ein verzücktes Verlangen nach dieser Welt, ein Augenaufschlagen und Armeausbreiten und Stammeln und tiefes, seliges Atmen - aber nichts dergleichen geschah. In täuschender Ähnlichkeit stand das Geformte vor seinem Schöpfer, aber kein Leben regte sich in ihm. Sorgsam prüfte
Prometheus die Gestalt. Nichts war vergessen, wenigstens nichts, was er für wichtig ansah. Der Kehlkopf war da, das Kinn, die Ferse, sogar die Nägel der Finger und Zehen. Was nur hatte er falsch gemacht oder übersehen? Sollte Gaia ihn getäuscht haben? Das konnte nicht sein. Sicher hatte er ihre Worte nicht richtig verstanden. Was aber sollte er jetzt tun? Nach ihr zu rufen, das wußte er genau, war sinnlos, sie würde ja doch nicht antworten. Trotzdem rief er nach ihr, und das dreimal.
Keine Antwort kam.
Er puffte den Kloß vor den Bauch.
«Sag doch was!» schrie er.
Der Kloß blieb stumm.
Am liebsten hätte Prometheus wieder geheult.
Da merkte er, daß dort, in der Bauchmitte, wohin er sein Geschöpf geknufft hatte, eine Delle entstanden war, und da begriff er, daß sein Lehmgefährte zwar gerade die rechte Mischung von trocken und feucht zum Gebildetwerden, aber nicht für einen Gang durch die Welt mit ihren Steinen und Stacheln und Dickichten aufwies. Dazu war er ja viel zu weich! Jeder Fingerdruck verformte ihn schon - was sollte da erst geschehn, wenn er stürzte oder sich an einem Ast stieß oder durch eine Hecke schlüpfen mußte! Jeder Strauch würde ihn ja in Stücke reißen, und jedes Bächlein, das er durchwatete, löste seine Füße auf. Nein, er mußte erst in der Sonne trocknen, der Lehmfreund, und hart werden wie jenes liegende Abbild, erst dann würde er zum Leben erwachen! Behutsam nahm der Schöpfer sein Werk in die Arme und trug es auf den Küstensaum in die Sonne.
«Trockne, Gefährte», sprach er, «trinke Sonne und Wind! Härte dich für dein Dasein, es wird auch auf der Insel der Glücklichen Härte brauchen! Inzwischen will ich dir eine Gefährtin schaffen.»
Nun bildete er eine zweite Gestalt, und diesmal machte er den entgegengesetzten Fehler: Die Beine gerieten sehr lang und die Hüften sehr schmal, und statt des Bauchs wurde das Hinterteil ziemlich rundlich.
Macht nichts, dachte er, die beiden werden sich schon vertragen!
- Franz Fühmann, Prometheus. Die Titanenschlacht. In: F.F., Marsyas.
Mythos
und
Traum
.
Leipzig 1993 (Reclam 1449, zuerst 1974 ff.)
Menschenmachen
(9)
Papst
Sylvester II. soll einen sprechenden Kopf konstruiert haben, erste Nachbildung
der menschlichen Stimme. Von Albertus Magnus heißt es, daß er ein menschenähnliches
Wesen aus Eisen, Leder, Wachs und Holz in dreißigjähriger Arbeit erbaute, das
gehen und sprechen konnte und sich mit Besuchern unterhielt. Nach dem Tode des
genialen Dominikanermönchs soll sein Schüler, der nicht minder geniale und später
heilig gesprochene Thomas von Aquin, das Monstrum
mit Stockhieben zerschlagen haben, weil sein Geplapper ihn bei der Arbeit störte.
- Ernst Herhaus, Die homburgische Hochzeit. München 1967 (zuerst
1970, dtv sr 83)
Menschenmachen
(10)
Nach der
Aufrichtung des Himmels ratschlagten die Götter
und sprachen: »Der Himmel ist ausgebreitet, die Erde gegründet, wer aber, ihr
Götter, soll auf ihr wohnen?« Voll Sorgen erwogen sie dies; da stieg auf ihr
Geheiß Quetzalcouatl in die Unterwelt hinab, kam zum
Herrn und zur Herrin des Totenreiches und sprach zum Totengott: »Ich bin hierhergekommen,
um den Edelsteinknochen, den du in deinem Gewahrsam hast, zu holen.« Der Totengott
fragte ihn: »Was willst du mit ihm machen?« Quetzalcouatl erwiderte: »Die Götter
sorgen sich darum, wer auf der Erde wohnen wird.« Wiederum sagte der Totengott:
»Gut. Dann blase aber erst mein Muschelhorn und trage den Knochen viermal im
Kreise auf meiner Edelsteinscheibe herum.« Aber Quetzalcouatl brauchte des Totengottes
Muschelhorn gar nicht; er rief die Würmer herbei, die Löcher in den Knochen
bohrten, in die die großen und kleinen Bienen hineinschlüpften; dann blies er
auf ihm, und der Totengott hörte es und sprach: »Gut, nimm ihn mit dir.« Darauf
aber reute es ihn, und er sagte zu seinen Dienern, den Bewohnern des Totenreichs:
»Befehlt ihm, ihr Götter, daß er den Knochen hierlasse!« Aber Quetzalcouatl
rief: »Mitnichten! Ein für allemal nehme ich ihn mit mir!« Da riet ihm sein
Nagual: »Sag ihnen: >Ich lasse ihn euch hier!<«, und Quetzalcouatl rief laut
und sprach: »Ich lasse ihn euch ja hier!«
Nun machte sich Quetzalcouatl wieder auf den Weg zur Oberwelt. Er ergriff
den Edelsteinknochen, der zu einem Teil aus den Knochen von Männern, zum andern
aus den Knochen von Weibern bestand, und wickelte ihn in ein Tuch, um ihn fortzutragen.
Da rief der Totengott wiederum seinen Dienern zu: »Ihr Götter! Jetzt trägt Quetzalcouatl
den Edelsteinknochen wahrhaftig fort. Grabt ihm eine Grube auf seinem Wege!«
Sie machten eine Grube, damit er hineinstürze; er stolperte, und Wachteln
erschreckten ihn so, daß er ohnmächtig wurde. Dabei
ließ er den Edelsteinknochen fallen, den die Wachteln benagten. Als Quetzalcouatl
wieder zu sich gekommen war, weinte er und sprach zu seinem Nagual: »Nagual,
was nun?« Sein Nagual erwiderte: »Was nun? Ja, das ist freilich ein schlimmer
Verlust. Aber es sei, wie es sei!« Da suchte und sammelte Quetzalcouatl die
Bruchstücke des Knochens, hüllte sie in ein Tuch und trug sie nach Tamouanchan;
und als er dort angekommen war, zermahlte sie die Göttin Ciuacouatl-Quilaztli
und tat sie in eine Edelsteinschale. Und Quetzalcouatl zapfte sich Blut aus
seinem Glied und sprengte es darüber, und nach ihm verrichteten
alle Götter die gleiche Zeremonie; sie nahmen sich ein Beispiel an Quetzalcouatl.
Darauf wurden, so sagt man, die Menschen geboren, weil die Götter über ihnen
ihr Blut geopfert hatten. - (
azt
)
Menschenmachen
(11)
Menschenmachen
(12) Über die Entstehung
des Menschen stellt der Talmud folgende poetische Vermutungen an: »Wie wurde
Adam geschaffen? In der ersten Stunde wurde Staub gesammelt;
in der zweiten Stunde wurde der Teig gemacht; in der
dritten wurde er zum formlosen Klumpen (golam)
geknetet;... in der sechsten erhielt er eine Seele;
in der siebten Stunde stand er auf und stellte sich auf seine Füße ...« Ein
Golem kann freundlich, tugendhaft und gerecht sein, sagt Maimonides,
aber seine intellektuellen Fähigkeiten sind beschränkt. -
(ji)
Menschenmachen
(13)
WAGNER Es leuchtet! seht! - Nun läßt sich wirklich
hoffen,
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
Durch Mischung - denn auf
Mischung kommt es an -
Den Menschenstoff gemächlich componiren,
In einen
Kolben verlutiren
Und ihn gehörig cohobiren,
So ist das Werk im Stillen
abgethan.
Es wird! die Masse regt sich klarer!
Die Ueberzeugung wahrer,
wahrer!
Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,
Das wagen wir verständig
zu probiren,
Und was sie sonst organisiren ließ,
Das lassen wir krystallisiren.
Wagner brütet den Homunkulus im Glaskolben aus
- Goethe, Faust II
Menschenmachen
(14) Unter einer Lampe
mit gelbem Seidenschirm, die im Jahre 1936 aus Liverpool hierher nach Simla
geschafft worden war, las Radcliffe:
Eines Nachts hörten die Sterne auf, in der Dunkelheit zu scheinen, und sie verließen diese Dunkelheit, indem sie wie ein Regen auf die Erde herabfielen, wo sie jetzt verborgen sind. Diese Sterne sind die Monaden.
Radcliffe notiert: Sieben Chöre himmlicher Geister sind auf der Erde bekannt
geworden, was »eine Veränderung der ganzen Natur hervorbrachte». Die Geologen
haben festgestellt, daß ein Erdenbrand vor vielen Millionen Jahren stattfand.
Dieses (sekundäre) Chaos ist der Ursprung, aus dem die vorgeschichtlichen Bergketten
hervorgingen, die Seen und Kontinente. Als der »heilige Herr« (Logos) den Menschen
zu schaffen wünschte, berief er die höchste Schar der Engel
und sprach ihnen seinen Wunsch aus. Sie aber bezweifelten den Sinn dieses Verlangens
und antworteten: DER MENSCH WIRD NICHT EINE NACHT IN SEINER HERRLICHKEIT ANDAUERN,
wofür sie von dem »heiligen Herrn« verbannt wurden. Dann berief er eine niedere
Schar. Und sie widersprachen dem »heiligen Herrn«: Wozu ist der Mensch gut?
Eloim schuf den Menschen und dieser »sündigte«. Dann kamen die Scharen von Uzza
und Azrael und riefen: Hier ist der Sohn des Menschen, den du gemacht hast!
Und er warf sie von ihrer hohen Stelle im Himmel ebenfalls hinab auf die Erde.
Und sie wurden in Menschen verwandelt und sündigten mit den Weibern auf Erden.
- (klu)
Menschenmachen
(15)
Menschenmachen
(16) Es ist die groteske
Geschichte eines Herren, der ein Kind wird, weil ihn die anderen als solches
behandeln. Ferdydurke möchte die große
Unreife der Menschheit demaskieren. Der Mensch,
so wie ihn dieses Buch beschreibt, ist ein undurchsichtiges und neutrales Wesen,
das sich durch gewisses Betragen und Benehmen hindurch zum Ausdruck bringen
muß, und infolgedessen wird es äußerlich - für die anderen - weit umrissener
und präziser, als es in seiner Intimität ist. Daher ein tragisches Mißverhältnis
zwischen seiner heimlichen Unreife und der Maske, die
es im Verkehr mit anderen aufsetzt. Es bleibt ihm nichts anderes, als sich innerlich
dieser Maske anzupassen, als sei er wirklich der, der er zu sein scheint. Man
kann also sagen, daß der Mensch Ferdydurke durch die anderen geschaffen ist,
daß die Menschen sich untereinander schaffen, indem sie einander Formen aufzwingen,
oder was wir >façon d'être< nennen.« - Witold Gombrowicz, Eine Art Testament. Gespräche und Aufsätze. München 2006
Menschenmachen
(17) Ich nahm ein anderes
Schaf und machte daraus ein Wesen voll Schmerz und Furcht und ließ es dann,
zum Heilen verbunden, liegen. Es erschien mir ganz menschlich, als ich fertig
war, aber später war ich unzufrieden damit; es erinnerte sich an mich und hatte
unvorstellbare Angst und nur einen Schafsverstand. Je mehr ich es ansah, um
so mißglückter schien es mir, bis ich das Ungeheuer schließlich aus seinem Elend
erlöste. Diese Tiere ohne Mut, diese angstgeplagten, schmerzgetriebenen Wesen
ohne einen Funken kämpferischer Energie, mit der sie der Qual entgegentreten
können - die taugen nicht zur Umwandlung in Menschen.
Dann nahm ich einen Gorilla, und daraus machte ich, indem ich mit unendlicher Sorgfalt arbeitete und Schwierigkeit nach Schwierigkeit überwand, meinen ersten Menschen. Die ganze Woche lang formte ich Tag und Nacht an ihm. Hauptsächlich das Gehirn mußte umgebildet, viel mußte hinzugefügt, viel geändert werden. Ich fand, der Gorilla sei ein schönes Beispiel des negroiden Typus, als ich fertig war und er bandagiert, gebunden und reglos vor mir lag. Erst als es sicher war, daß er arn Leben bleiben würde, verließ ich ihn und fand Montgomery so ziemlich in der gleichen Verfassung vor, in der Sie jetzt sind. Er hatte Schreie gehört, als das Tier menschlich wurde, Schreie wie die, die Sie so verstörten. Ich zog ihn anfangs nicht ganz ins Vertrauen. Und auch die Kanaken hatten etwas gemerkt. Sie waren bei meinem Anblick vor Angst außer sich. Montgomery gewann ich für mich - wie auch immer, aber ich und er, wir hatten schwer zu tun, die Kanaken am Davonlaufen zu hindern. Schließlich taten sie's doch, und so verloren wir die Jacht. Ich habe viele Tage damit zugebracht, den Affenmenschen zu unterrichten - im ganzen drei oder vier Monate lang. Ich brachte ihm ein paar Brocken Englisch bei, vermittelte ihm einen Begriff vom Zählen, lehrte ihn sogar das Alphabet lesen. Aber da war er langsam - freilich, Idioten, die ich's ebenfalls gelehrt habe, waren mitunter noch langsamer. Er war geistig ein unbeschriebenes Blatt, hatte keine Erinnerung mehr an das, was er gewesen war. Als seine Wunden geheilt waren und er nur noch etwas steif war, sich aber bereits ein wenig unterhalten konnte, brachte ich ihn dahinter und stellte ihn den Kanaken als interessantes Strandgut vor.
Sie hatten erst furchtbare Angst vor ihm - was mich ziemlich beleidigte, denn ich bildete mir etwas auf ihn ein -, aber sein Wesen schien so sanftmütig, daß sie ihn nach einiger Zeit aufnahmen und seine Erziehung fortsetzten. Er lernte schnell, ahmte seine Lehrmeister nach und paßte sich an. Er baute sich eine Hütte, die mir besser schien als die Schuppen der Kanaken. Unter den Jungen war einer so etwas wie ein Missionar, und der lehrte das Geschöpf lesen und vermittelte ihm einige Grundbegriffe von Moral, aber es scheint, die Sitten des Tieres waren nicht ganz so, wie man wünschen sollte.
Ich ruhte einige Tage von der Arbeit aus und hatte Lust, einen Bericht über
die ganze Sache zu schreiben, um die englische Physiologie aufzurütteln. Dann
traf ich das Geschöpf hoch in einem Baum sitzend, wie es auf zwei von den Kanaken
einschnatterte, die ihn geärgert hatten. Ich drohte ihm, sagte ihm, ein solches
Vorgehen sei nicht menschenwürdig, weckte sein Schamgefühl und entschloß mich,
Besseres zu machen, ehe ich meine Arbeit in England vorstellte. Ich habe Besseres
hervorgebracht, aber irgendwie verkümmern die Geschöpfe wieder, das zähe Tierfleisch
ist stärker, wächst nach ... Ich gedenke immer noch, Besseres zu machen. - Herbert George Wells, Die Insel des Dr. Moreau.
München 2009 (zuerst 1896)
Menschenmachen
(18)
Menschenmachen
(19)
Menschenmachen
(20) Ich bin überzeugt,
daß, wenn Gott einmal einen solchen Menschen schaffen würde, wie
ihn sich die Magistri und Professoren der Philosophie vorstellen, er müßte
den ersten Tag ins Tollhaus gebracht werden. Man könnte daraus eine artige
Fabel machen: Ein Professor bittet sich von der Vorsicht aus ihm einen Menschen
nach dem Bilde seiner Psychologie zu schaffen, sie tut es und er wird in das
Tollhaus gebracht. -
(licht)
Menschenmachen
(21)
Ich, der Ober-Rabiner Löw aus Prag, habe es bedacht und es unternommen,
ich weiß es aus dem Pentateuch, es ist gesagt: Im Anfang war das Wort.
Im Anfang war der Logos. Aber dieses Wort war schon irdisch. Dieser
Logos vereinte schon alle Elemente in sich. Er war gleichzeitig Feuer,
Wasser, Erde und Luft, aus denen das Weltall hervorging. Das Wort sagt:
Gott hat den Menschen aus dem limus terrae geschaffen, er blies ihm
seinen Odem ein. Dieser Odem war nach dem vollendeten Werk der Schöpfung
das himmlische Feuer der Sonne geworden.
Und sollte es mir gelingen, durch lapis philosophorum und seine
Erhitzung in meinen Retorten einen künstlichen Menschen ins Leben zu
erwecken, so müßte das der Golem sein. Mein liquor alcafium aus Kupfer,
Quecksilber und Schwefel, unter Zuhilfenahme der 72 Buchstaben des
höchsten Geistes, hätte diesen Lehm-Menschen erstehen lassen müssen.
Theophrast Bombast Paracelsus hat es gesagt, die Elemente sind den
Planeten verwandt, sie bestehen aus Metallen und Salzen, das Ganze wird
wirkend unter dem Einfluß der Hitze der Sonne, darum muß man alles
kochen, alles heizen. Aber die chemischen Elemente sind wandelbar, es
sind nur scheinbare Erscheinungen, die sie unterscheiden, tatsächlich:
Alles ist immer das Gleiche.
Die Schrift beweist, daß Gott den limum terrae genommen habe wie eine
Masse und aus derselben den Menschen geformt und geschaffen habe. Limus
terrae ist maior mundus. Also ist der Mensch aus Himmel und Erde
gemacht, das ist: aus den oberen und unteren Geschöpfen.
Denn der limus terrae ist ein Auszug vom Firmament und allen Elementen.
Gott hat vorgenommen, den Menschen in solcher Gestalt zu formen.
Er hat das Wesen der vier Elemente in Eins zusammengezogen, hat aus dem
Gestirn das Wesen der Weisheit, der Kunst und der Vernunft ausgezogen,
und also beide Wesen, das der Elemente und das des Gestirns
zusammengestellt. Ob es wohl der Natur und Kunst möglich sei, daß ein
Mensch außerhalb des weiblichen Leibes und einer natürlichen Mutte
geboren werden möge?
Darauf gibt es die Antwort, daß es der Kunst spagirica unc der Natur
keineswegs zuwider, sondern gar wohl moglid sei. Wie aber solches zugehe
und geschehen möge, ist nun seir Prozeß also: nämlich, daß das Sperma
eines Mannes in verschlossener Retorte unter Wärmeeinwirkung chemisch
verarbeitet werde auf vierzig Tag, oder so lang, bis er lebendig werde
und sich bewege. So er nun nach diesem täglich mit dem arcano sanguinis
humani weislich gespeist und ernährt wird bis auf vierzig Wochen und in
stäter gleicher Wärme erhalten, so wird ein rechtes, lebendiges,
menschliches Kind daraus, mit allen Gliedmaßen wie ein anderes Kind, das
von einem Weib geboren wird, nur viel kleiner. Das was wir einen
Homunculus nennen. Wenn nun ein Samen, ein menschliches Sperma gebraucht
werden soll, um einen Homunculus zu schaffen, wo ist darin eine
Schöpfung wie die des Golems, ausschließlich aus der spirituellen
Verwandlung der Salze und Metalle? Der große Wissende aus Hohenheim hat
da nicht seine eigenen hermeneutischen Ideen zuende gedacht. Seltsame
Idee des verehrten Hohenheimers, das ist nicht mehr die Verwandlung
eines Stoffes in einen anderen. Nach bestem Wissen und allem festen
Glauben an die Alchimie und die tiefen Erkenntnisse des Paracelsus, habe
ich versucht nach seinen Angaben diesen Lehm-Menschen, den Golem, zu
erschaffen. Es ist mir nicht gelungen, er hat nur ungefähr eine
menschliche Form angenommen, aber er hat nicht gelebt.
So suche ich nun einen anderen Weg, und anstatt einen Menschen aus
menschlicher Form, zusammen mit irdener Masse durch geheimes Feuer und
alcalischer Feuchte zu schaffen, will ich bedenken, ob nicht der Mensch
selbst ehemals mit den Pflanzen verwandt war, und so vielleicht durch
die Umwandlung des dem Blut verwandten Pflanzenliquors ein neuer,
künstlicher Mensch hervorzurufen wäre, und ich erwarte, daß die
alchimistische Kunst mit Hilfe der Kraft der geheimnisvollen 72
Buchstaben des höchsten Geistes mir erlauben wolle, den Homunculus zu schaffen!
Aber weiß ich denn nicht, daß es die Zauberwurzel der Mandragore
gibt? Zeigt nicht schon ihre menschliche Form ihre endliche
menschliche Absicht an? Und heißt nicht Mandragore auch Gloria? Ich, der
Groß-Rabbi Löw aus Prag, ich will darüber denken.
Ist dies nicht ein Fingerzeig der Schöpfung? Ist nicht der Saft der
Pflanze dem geheimnisvollen liquidus alcalius, dem Blute des Menschen
vergleichbar?
Die Mandragore, diese Mana gloriosa
wird mir ihr Geheimnis verraten.
Der grüne Lebenssaft, das Chlorophyllum, das fähig ist
Wasser zu catalisieren, also in ein ganz spezielles Wasser zu
verwandeln, dies Chlorophyllum war an der Quelle aller irdischen
Mutationen und Veränderungen, und die menschliche Zelle ist diesem
Verwandlungsverfahren der körperlichen Infrastrukturen nicht fremd.
Darum werde ich, der Ober-Rabbi Löw, versuchen, ein neues menschliches
Wesen zu schaffen, ausgehend von der Wurzel der Mandragore.
Die Mandragore dient als Vermittler zwischen dem ursprünglichen
körperlichen Leben und dem mit Prinzip und Wesentlichkeit organisierten
Leben.
So sagt Paracelsus noch: Der spiritus vitae ist ein Geist, der in allen
Gliedern des Leibes liegt, wie sie auch genannt seien, und ist in allen
gleich, der EINE Geist, die EINE Kraft, in Einem wie in den Andern, und
ist das höchste Korn des Lebens, aus dem alle Glieder leben.
Und da Alles ist wie oben und unten, und da der Geist
auch im Körper der Pflanze lebt, so werde ich, der Ober-Rabbi Löw, es
unternehmen, meinen mir von Gott verliehenen Geist mit Hilfe des arcanum
vitae in der Mandragore, den Homunculus werden zu lassen. - Raoul Hausmann,
nach
(weltb)
Menschenmachen
(22)
Menschenmachen
(23) Ich
bin überzeugt, wenn Gott einmal einen solchen Menschen schaffen wollte,
wie ihn sich die Magister und Professoren der Philosophie vorstellen,
er müßte den ersten Tag ins Tollhaus gebracht werden. Man könnte daraus eine artige Fabel machen: Ein Professor bittet sich von der Vorsicht aus, ihm einen Menschen nach dem Bilde seiner Psychologie zu schaffen; sie tut es, und er wird ins Tollhaus gebracht. - Lichtenberg