»Könnte nicht die Gesundheitsbehörde die Sache in die Hand nehmen, oder
die Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens,
oder finden Sie, es geht eher die Haushaltungsvorstände an?«
»Das Wesentliche,
der springende Punkt und das, worauf es mir
ankommt«, erwiderte er beinahe grimmig, »ist das Landratsamt.«
»Kompliziert genug sieht es allerdings aus.« Der Sergeant trank zierlich, tief in Gedanken versunken. »Michael Gilhaney, einer meiner Bekannten«, sagte er schließlich, »ist ein Mensch, den das Wirken der Mollykül-Theorie schon fast erledigt hat. Würde es Sie ominös verwundern, wenn Sie erführen, daß er auf dem besten Wege in der Gefahr schwebt, ein Fahrrad 2u sein?« Mick schüttelte in höflichem Unverständnis den Kopf. »Er ist nach einfacher Berechnung fast sechzig Jahre alt«, sagte der Sergeant, »und wenn er noch er selber ist, hat er nicht weniger als fünfunddreißig Jahre auf dem Fahrrad verbracht, über die steinigen Feldwege und die unnachgiebigen Hügel hinauf und hinab und hinein in die tiefen Gräben, wenn sich die Straße unter der Mühsal des Winters verliert. Ständig ist er zu jeder Stunde des Tages unterwegs und fährt hierhin oder dorthin, und zu jeder zweiten Stunde des Tages kommt er mit seinem Fahrrad wieder von hierher oder dorther zurück. Wenn ihm nicht jeden Montag das Fahrrad gestohlen würde, wäre es ihm sicher schon mehr als halbwegs gelungen.« »Was wäre ihm halbwegs gelungen?« »Selber ein gottverdammtes Fahrrad zu sein.« Hatte Sergeant Fottrell sich für einmal dazu verstiegen, trunken draufloszureden? Seine Grillen waren für gewöhnlich amüsant, aber weniger gut, wenn sie keine Bedeutung hatten. Als Mick etwas sagte, das darauf abzielte, starrte ihn der Sergeant ungeduldig an.
»Haben Sie je als junger Bursch die Mollykül-Theorie
studiert?« fragte er.
Mick sagte: nein, zumindest nicht eingehend.
»Das ist eine sehr ernste Unterschlagung und schwerverständliche Verschlimmerung«, sagte er rauh, »aber ich werde Ihnen sagen, wie es sich damit verhält. Alles besteht aus kleinen Mollykülen seiner selbst, und diese fliegen in konzentrischen Kreisen herum und in hohem Bogen und in Segmenten und unzähligen anderen Routen, zu zahlreich, sie kollektiv zu erwähnen, stehen dabei nie still oder ruhen sich aus, sondern sie flitzen davon und trudeln mal hier-, mal dorthin und sofort wieder zurück, immer auf Achse. Folgen Sie mir soweit verständnisinnig? Mollyküle?« »Ich glaube schon.«
»Sie sind so munter wie zwanzig ungeratene Kobolde, die auf einem flachen Grabstein Reigen tanzen. Nun nehmen Sie mal ein Schaf an. Was ist ein Schaf anderes als Millionen kleiner Teilchen von Schafsmäßigkeit, die durcheinander wirbeln und innerhalb des armen Tieres verzwickte Konvulsionen aufführen? Na? Was?« »Das müßte das Schaf schwindlig machen«, stellte Mick fest, »besonders, wenn sich das Wirbeln auch in seinem Kopf abspielt.«
Der Sergeant ließ ihm einen Blick zuteil werden, den er selbst zweifelsohne als non-possum und noli-me-tangere bezeichnet hätte.
»Das ist eine überaus tollkühne Bemerkung«, sagte er scharf, »denn die Nervenstränge und der Schafskopf selbst sind dem Wirbeln unterworfen, weshalb ein Wirbel den anderen aufhebt, und bitteschön: es ist, als kürzte man einen Bruch, wenn man über und unter dem Strich eine Fünf stehen hat.«
»Darauf bin ich, um die Wahrheit zu sagen, noch nicht gekommen.«
»Mollyküle sind ein sehr verzwicktes Theorem, und man kann ihnen mit Hilfe der Algebra beikommen; es empfiehlt sich aber, dabei schrittweise vorzugehen, Lineale und Kosinen und ähnliche vertraute Instrumente zu benutzen, und wenn man dann alles fertig hat, glaubt man nicht, was man überhaupt bewiesen hat. Wenn das nämlich passierte, müßte man es zurück verfolgen, bis man eine Stelle gefunden hat, an der man seine Fakten und Ziffern, wie sie in der Algebra von Knight & Hall genau niedergelegt sind, wieder glauben kann, und von der betreffenden Stelle müßte man sich dann wieder vorarbeiten, bis man den ganzen Eierkuchen anständig geglaubt hat und nicht Teile davon halb geglaubt hat oder einen Zweifel im Kopf zurückbehält, der einen plagen würde wie ein inmitten des Bettes verlorener Kragenknopf.«
»Sehr wahr«, entschloß sich Mick zu sagen. »Wenn man heftig genug und oft genug mit einem eisernen Hammer auf einen Stein schlägt, werden einige Mollyküle des Steins in den Hammer gehen, sowie ebensowohl umgekehrt.«
»Das ist wohlbekannt«, pflichtete er bei. »Das Brutto- und Nettoresultat davon ist, daß die Persönlichkeit von Menschen, die die meiste Zeit ihres natürlichen Lebens damit verbringen, die steinigen Feldwege dieses Landkreises mit eisernen Fahrrädern zu befahren, sich mit der Persönlichkeit ihrer Fahrräder vermischt: ein Ergebnis des wechselseitigen Austauschs von Mollykülen, und Sie wären erstaunt über die große Anzahl von Leuten in dieser Gegend, die beinahe halb Mensch, halb Fahrrad sind.«
Mick keuchte leicht vor Erstaunen, und das machte ein Geräusch wie Luft, die aus einem schadhaften Reifen austritt.
»Guter Gott, ich vermute. Sie haben recht.«
»Und Sie wären unsagbar baff, wenn Sie die genaue Zahl stämmiger Fahrräder
kennten, die heiter am menschlichen Leben Anteil nehmen.« - Flann
O'Brien, Aus Dalkeys Archiven. Frankfurt am Main 1982 (BS 623, zuerst
1964)
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- N. N.
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