ensch, kuranter Es gibt eine Art von gemißbrauchter und in Dienste genommener Kultur — man sehe sich nur um! Und gerade die Gewalten, welche jetzt am tätigsten die Kultur fördern, haben dabei Nebengedanken und verkehren mit ihr nicht in reiner und uneigennütziger Gesinnung.
Da ist es erstens die Selbstsucht der Erwerbenden, welche der Beihilfe
der Kultur bedarf und ihr zum Danke dafür wieder hilft, aber dabei freilich
zugleich Ziel und Maß vorschreiben möchte. Von dieser Seite kommt jener beliebte
Satz und Kettenschluß her, der ungefähr so lautet: möglichst viel Erkenntnis
und Bildung, daher möglichst viel Bedürfnis, daher möglichst viel Produktion,
daher möglichst viel Gewinn und Glück — so klingt die verführerische Formel.
Bildung würde von den Anhängern derselben als die Einsicht definiert werden,
mit der man, in Bedürfnissen und deren Befriedigung, durch und durch zeitgemäß
wird, mit der man aber zugleich am besten über alle Mittel und Wege gebietet,
um so leicht wie möglich Geld zu
gewinnen. Möglichst viele kurante Menschen zu bilden, in der Art dessen,
was man an einer Münze kurant nennt, das wäre also das Ziel; und ein Volk wird,
nach dieser Auffassung, um so glücklicher sein, je mehr es solche kurante Menschen
besitzt. Deshalb soll es durchaus die Absicht der modernen Bildungsanstalten
sein, jeden so weit zu fördern, als es in seiner Natur liegt, kurant zu
werden, jeden dermaßen auszubilden, daß er von dem ihm eigenen Grade von Erkenntnis
und Wissen das größtmögliche Maß von Glück und Gewinn habe.
Der einzelne müsse, so fordert man hier, durch die Hilfe einer solchen allgemeinen
Bildung sich selber genau taxieren können, um zu wissen, was er vom Leben zu
fordern habe; und zuletzt wird behauptet, daß ein natürlicher und notwendiger
Bund von „Intelligenz und Besitz", von „Reichtum und Kultur" bestehe,
noch mehr, daß dieser Bund eine sittliche Notwendigkeit sei. Jede Bildung ist
hier verhaßt, die einsam macht, die über Geld und Erwerb hinaus Ziele steckt,
die viel Zeit verbraucht; man pflegt wohl solche ernstere Arten der Bildung als
„feineren Egoismus", als „unsittlichen Bildungs-Epikureismus"
zu verunglimpfen. Freilich, nach der hier geltenden Sittlichkeit
steht gerade das Umgekehrte im Preise, nämlich eine rasche Bildung, um bald
ein geldverdienendes Wesen zu werden, und doch eine so gründliche Bildung, um
ein sehr viel Geld verdienendes Wesen werden zu können. Dem Menschen wird nur
so viel Kultur gestattet, als im Interesse des allgemeinen Erwerbs und des Weltverkehrs
ist, aber so viel wird auch von ihm gefordert. Kurz: „der Mensch hat einen notwendigen
Anspruch auf Erdenglück, darum ist die Bildung notwendig, aber auch nur darum!"
- Friedrich Nietzsche, Schopenhauer als Erzieher (1874)
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