Meisterpirat  Bei ihm gab es keine Schiffsjungen. Er scheint aus eigner Lehrzeit trübe Bedrängnisse erfahren zu haben. Denn er soll ein hübscher Mensch gewesen sein.

Und mit geradezu unbequemem Beispiel ging er seinen Leuten voran. Er war — außer etwa Bully Hayes — der einzige Freibeuter westlicher Sorte, der nichts von „Besanschot an!" hielt, also nichts von  irgendwelchem Alkohol.  Er rauchte nicht  einmal. Ein Seemann, der nicht qualmt noch säuft, auf Wasser wie auf Balken läuft . . . Das eine schien so unwahrscheinlich wie das andere, in jenen Tagen sowohl wie manchmal noch heute. Und Roberts konnte seiner Mannschaft keineswegs beibringen, sich mit Tee, Kaffee und Fruchtsaft zu begnügen. Vielleicht waren letztere Getränke damals sowieso luxuriöser als Schnaps. Und sie machten innerlich wacher, anstatt gewisse Bedenken einzulullen. Das konnten die wenigsten brauchen. Auch ist betreffs Roberts keine einzige Frauenbegegnung bekannt. Er ist auch der einzige, der eine gelinde Schranke zwischen Mannschaft und sich zu legen verstand, ohne daß dieses drei Jahre lang zu Schwierigkeiten führte. Man möchte fast die Meinung über diesen Meisterpiraten hegen, er sei, ohne daß es je erkannt wurde, weiblichen Geschlechts gewesen, hermaphroditisch vielleicht, zumindest hormonisch verschoben. Auch seine ausdrückliche Anordnung, ihn, falls er falle, in voller Montur sofort in die See zu werfen, ist bemerkenswert. Er kleidete sich zudem ungewöhnlich bunt und reich. Und unterhielt ein großes Bordorchester, gönnte ihm aber strikte Sonntagsruhe. Daß er Musikinstrumente statt der Geschütze einsetzte — wenn es irgend anging —, ist weiter ein köstlicher Zug, der abseits jeden rohen Heldentums steht. Und vielleicht ist sogar seine zierliche Handschrift nicht ohne Aufschluß. Das Kupfer zu Johnsons Bericht zeigt zwar ein grobes Gesicht, indes bartlos und über schmalen Schultern. Johnsons Illustrator — dessen Name unbekannt blieb — scheint sich auf Unterlagen von Augenzeugen zu stützen, viele Einzelheiten, die über den Text des Buches hinausgehen, beweisen es. Dennoch mag die damenhaft elegante Pose der zierlichen Linken des Meisterpiraten Zufall sein, sofern es Zufall gibt.

Bartholomew Roberts war der erfolgreichste aller echten Freibeuter des Atlantiks. Und einer der intelligentesten und willensstärksten. Ein sicher völlig Einsamer, der verstand, genau das zu bleiben, was er war und wollte. Das Schwingen entblößter Waffen, martialisches Gebrüll und ungeheuerliche Musik, die Darbietung unabsehbarer Bedrohlichkeit, die unheimlichen Flaggen als wabernde Visionen von Durchlöcherung, Zerfleischung und abgelaufenem Stundenglas, dieses Höllenspektakulum wirkte oft zerschmetternder als der Einsatz von Kanonen und veranlaßte manches noch so gut bestückte Schiff zu unblutigen Übergabe.

Einmal segelte Roberts vor Bahia in dieser Weise mitten in eine ausreisefertige portugiesische Konvoiflotte, suchte das tiefstbeladene und größte Fahrzeug aus, ging längsseits, schickte eine Entermannschaft hinüber, die nach geringem Einspruch die Segelstellung korrigierte und das Ruder übernahm, deckte den fetten Braten mit seinem „Royal Rover" gegen den langsam erwachenden Beschuß zweier noch vor Anker liegenden Kriegsschiffe und entkam. Er muß ein fähiger Navigator gewesen sein, ein Segelkenner wie Nelson und ein beachtlicher „Kultivator" seiner Bande. Nur zwei Leute büßte er bei diesem tollkühnen Unternehmen ein. Die erbeutete „Sagrada Familia" enthielt außer der Fracht an Tabak, Zucker und Häuten bare vierzigtausend Gold=Moidors, gleich zweihundertfünfzigtausend Dollar! Ihre vierzig Kanonen hatten ihr nichts genützt und ihre einhundertfünfzig Mann wurden auf den Teufelsinseln ausgebootet.  - (bord)

 

Pirat Meister

 

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