Megäre  NATÜRLICH gibt es auch beim weiblichen Geschlecht durchaus kriminelle Charaktere, deren Vergehen und Verbrechen nicht durch organische Vorgänge oder durch das noch halb liebenswerte Nichterwachsenwerden der Frau entschuldigt werden können. Über den Teil seiner Sammlung, der die Konterfeis der schlimmsten weiblichen Verbrecher enthielt, hatte Gennat zu Liebermanns und meiner Belustigung dick mit Rotstift geschrieben: „Megären."

Da hatte Gennat die Gewaltverbrecherinnen zusammengestellt, von denen an, die der unverbürgten Sage angehören, bis zu denen, deren Akten noch gestern auf dem Tisch der Kripo lagen, und zwar nur jene Weiber, die als Tatwerkzeuge eine Waffe oder ihre Hände, nicht aber Gift benutzt hatten. Den Giftmord behandelte Gennat in einer anderen Sammlung, hielt ihn offenbar im Hinblick auf weibliche Mentalität für verzeihlicher und angemessener.

Im allgemeinen glaubt man, daß Gewaltverbrechen durch Frauenhand selten vorkommen. Allein in einem Jahr registrierte Gennat — und das nur für Preußen — achtundzwanzig Morde durch Frauenhand, die Tötungen von Neugeborenen nicht eingerechnet. Eine Mutter erwürgte ihren Neunjährigen mit einer Schlinge und hing ihn, um Selbstmord vorzutäuschen, auf. Eine andere warf ihr Töchterchen von einer Eisenbahnbrücke. In mehreren Fällen töteten Frauen ihre Männer durch Messer oder Beil.

Der markanteste, in vieler Beziehung lehrreichste Fall, den wir in Berlin hatten, war wohl der in der Charlottenstraße:

An einem Vorfrühlingstag wurde dort eine Reinemachefrau in der Besenkammer des Treppenhauses tot aufgefunden. In knieender Stellung, mit von Ohr zu Ohr durchschnittener Kehle lehnte sie vom Flur aus in die Kammer.

Der „Leichendoktor" tippte, als er diese furchtbare Wunde sah, auf einen starken, rabiaten Kerl. Auch Gennat tat das, trotzdem die Kripo damals schon wußte, daß gerade Frauen und Jugendliche, wenn sie einmal zur Waffe gegriffen haben, ihre Opfer oft in einem Zustand hinterlassen, der an die Tat eines Wahnsinnigen glauben läßt. Derartig infantile Täter geraten in Panik vor dem, was sie begonnen haben, und fürchten in ihrer Verwirrung wohl auch, daß ihr Opfer doch nicht tot sei und sie noch verraten könnte.

Jener Fall in der Charlottenstraße wies noch viele kriminalistisch interessante Begleiterscheinungen auf: Der Täter hatte sich offenbar selbst verletzt, wie die vom Tatort im ersten Stock zur Haustür und über die Straße führenden Blutstropfen verrieten. Auf der anderen Seite der Straße führten die Blutstropfen zu einer Autobushaltestelle. Erst durch Zufall klärte sich am nächsten Tage, daß die Blutstropfen auf der anderen Straßenseite von einem Hund stammten. So wurde erst dann die echte Spur, die in das dem Mordhaus gegenüberliegende Haus und dort auf den Hof zu den Müllkästen führte, gefunden. Der Täter hatte seine offenbar recht schweren Wunden mit alten, jetzt völlig durchbluteten Zeitungen dort an den Müllkästen zu stillen versucht.

Ein Mann hatte eine Frau aus dem Mordhaus gerade zur vermutlichen Tatzeit kommen sehen. Diese Frau hatte Blutflecke auf Rock und Strümpfen. Es war wirklich die Täterin gewesen; denn es war eine Frau, die den furchtbaren Schnitt geführt hatte, ein zartes Mädchen, Anfang der Zwanziger, schmalgesichtig mit spitzer, großer Nase. Als aber der Mann, der sie zuerst in die Akten brachte, der Mörderin später gegenübergestellt wurde, konnte er sie nicht wiedererkennen und behauptete, die aus dem Hause kommende, blutbesudelte Frau sei viel stabiler gewesen. Inhaber eines Geschäftes meldeten, während die Täterschaft der Margarethe B. noch nicht bekannt war, daß am Tage vor dem Mord eine Frau bei ihnen ein großes Messer gekauft habe. Diese Frau wäre ihnen durch ihr seltsames Benehmen aufgefallen, und sie gaben von ihr eme Beschreibung, die haargenau auf die B. paßte. Aber später ergab sich dann, daß die B. nie in jenes Stadtviertel, in dem das Geschäft der Anzeigenden sich befand, gekommen war und die Tatwaffe ganz woanders erworben hatte.

Die B. war in einem Büro des Mordhauses beschäftigt gewesen, sie hatte mit ihrem Chef ein Verhältnis, und die Reinemachefrau erpreßte sie, indem sie drohte, dem Chef zu verraten, daß die B.  sich auch mit anderen Männern herumtreibe. Die Täterin wurde erkannt, als sie bei einer Vernehmung — alle im Hause Wohnenden und Beschäftigten wurden befragt — die Handschuhe anbehielt, dicke wollene Handschuhe. Als sie sie ausziehen und die Hände zeigen mußte, überführten sie fast schon die furchtbaren Schnittverletzungen in der Innenseite der Hände, die sie sich bei der Tat zugezogen hatte. Sie gestand dann auch sofort.

War der Fall Margarethe B. für die Kripo Berlin wegen der entsetzlichen Verletzung und der anderen irreführenden Umstände auch besonders sensationell, so hatte Gennat doch noch unendlich viele Beispiele unter der Rubrik „Megären", die mit der alten Ansicht aufräumten, daß das schwächere Geschlecht nie die Brutalität des stärkeren aufbringen könne. Die letzten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg lieferten dazu ja noch viele Beispiele. Immer wieder berichteten da Polizeiberichte und Zeitungen von Frauen, die ihre mißliebigen Männer durch Hammer, Messer oder Schußwaffe beseitigten, wenn diese aus der Gefangenschaft zurückzukehren wagten.  - Franz von Schmidt, Vorgeführt erscheint. Erlebte Kriminalistik. Stuttgart 1955

 

Weiber, schlechte

 

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