eerfahrt  1. Fünfzig Strophen sang die Frau aus unbekannten Landen in der Halle des Hauses vor Brán mac Febail, während sein Königshaus voll von Königen war, die nicht wußten, woher die Frau gekommen, weil die Zugänge zur Burg abgesperrt waren ... So also sang sie:

4. Es liegt eine Insel in weiter Ferne, umflimmert von den Rossen der See; eine glänzende Fahrt gegen weißflankige Wogen; vier Pfeiler tragen sie. 5. Eine Augenweide, ein prangendes Band ist das Feld, darauf die Scharen sich im Spiel messen. Schiff streitet gegen Wagen dort im südlichen Mag Findargat. ... 7. Dort steht ein heiliger Baum mit Blüten bedeckt, auf dem die Vögel die Stunden ausrufen. Durch harmonischen Zusammenhang sind sie gewohnt, vereint eine jegliche Stunde anzugeben. 8. Glanzlichter jeglicher Färbung flimmern durch die sanft tönenden Gefilde. Freude herrscht — eine Ranke um die Musik — im südlichen Mag Argatnel....
10.  Ohne Kummer, ohne Schmerz, ohne Tod; ohne jede Krankheit, ohne Gebrechen: Das ist das Kennzeichen von Emain, ungewöhnlich ist solch ein Wunderland. ... 19. Vielgestaltiges Emain am Ozean, bald nah, bald fern, bewohnt von vielen Tausenden buntgekleideter Frauen, umflossen von der schimmernden Flut. ... 25. Dreiundfünfzig ferne Inseln liegen im Ozean, westlich von uns: größer als Erin um das Zweifache ist eine jede von ihnen oder um das Dreifache. ... 30. Laß dich nicht auf‘s Faulbett fallen noch dich vom Rausch übermannen! Wage die Fahrt über‘s schimmernde Meer, ob du vielleicht das Land der Frauen erreichst....
32. Am nächsten Morgen stach Brán in See. Dreimal neun Mann stark war ihre Zahl. Jede der drei Abteilungen war von einem seiner Ziehbrüder und Altersgenossen befehligt, Als er bereits zwei Tage und zwei Nächte auf See war, sah er einen Mann in einem Wagen über das Meer hin auf sich zukommen: Dieser Mann sang vor ihnen alsdann dreißig weitere Strophen und gab sich ihnen als Manannán mac Lir, der Meeresgott, zu erkennen ...; [er sang:] 60. Mag Brán nun entschlossen weiterrudern, nicht fern ist‘s mehr zum Land der Frauen. Emain mit der bunten Farbe der Freigebigkeit wird er noch vor Sonnenuntergang erreichen.
61. Danach verließ ihn Brán. Er erblickte eine Insel und ruderte rings um sie herum. Eine große Schar Menschen war da mit weit geöffnetem Munde und lachend. Sie blickten auf Brán und seine Begleiter, ließen sich aber auf kein Gespräch mit ihnen ein. Unaufhörlich brachen sie in Lachsalven gegen sie aus.... Der Name dieser Insel ist Inis Subi, Freudeninsel....
62. Nicht lange danach gelangten sie zu dem Land der Frauen und sahen die Führerin der Frauen in dem Hafen dort.
›O Brán mac Febail, gesegnet ist dein Kommen!‹ Aber Brán wagte es nicht, an Land zu gehen. Da schleudert die Frau einen Fadenknäuel auf Brán, gerade über sein Gesicht. Brán wirft seine Hand auf den Knäuel. Der aber blieb an seiner Handfläche kleben. Der Faden des Knäuels lag in der Hand der Frau und sie zog das Boot hafenwärts. Darauf gingen sie in ein großes Haus. ... Sie wähnten ein Jahr dort zu sein. In Wirklichkeit waren es viele Jahre. ...
63. Einen von ihnen, den Nechtan mac Colbrain, packte das Heimweh, und er und die Seinen baten Brán, mit ihnen nach Irland zurückzufahren. Da sagte die Frau, ihre Abreise würde sie reuen. Sie gingen trotzdem. ...
64. Sie fuhren nun, bis sie auf eine Menschenansammlung in Srub Brán, das heißt der Strom Bráns, stießen. Diese Leute fragten sie, wer da vom Meer käme. Brán erwiderte: ›Ich, Brán mac Febail‹. ›Wir haben deine Bekanntschaft noch nicht gemacht‹, sagten die andern, ›nur, daß wir die ›Reise Bráns‘ in unseren alten Sagen haben.‹ 65. Da stürzte jener Nechtan aus dem Boot. Sobald er aber den Boden Irlands berührte, war er ein Aschehäuflein, so als hätte er schon Jahrhunderte hindurch in der Erde gelegen. Da sang Brán die folgende Strophe:

Groß war die Torheit von Colbrans Sohn,
die Hand zu erheben gegen das Alter,
ohne jemanden, der eine Welle reinen Wassers
über Nechtan mac Colbrain gösse.

66. Darauf teilte Brán den Versammelten alle seine Abenteuer von Anbeginn mit und schrieb diese Strophe in Oghamschrift nieder. Darauf wünschte er ihnen Lebewohl. Von Stund an erfuhr man nichts mehr von seinen Fahrten. - (meer)

Meerfahrt (2)   Wir hatten die billigsten Plätze, auf dem Vordersteven... Eine großartige Aussicht auf den ganzen Horizont... Ich sollte als erster die fremde Küste melden... Das Wetter war nicht schlecht, aber kaum hatten wir uns ein wenig entfernt, die Leuchttürme aus den Augen verloren, begannen wir naß zu werden... Es schaukelte mächtig, eine richtige Seefahrt... Meine Mutter verkroch sich in den Raum mit den Rettungsgürteln... Sie übergab sich als erste über das Deck hinweg und in die dritte Klasse ... Da wurde es sofort ganz leer um sie ...

«Gib auf das Kind acht, Auguste!» konnte sie noch kreischen. Das war das beste Mittel, ihn rasend zu machen...

Jetzt begannen auch andere Leute unerhörte Anstrengungen zu machen ... über Bord und Reling... Bei dem Geschaukel kotzte man wahllos in die Gegend... Es gab nur ein Klosett... Das war bereits von vier närrisch gewordenen Kotzern besetzt. Das Meer schwoll immer mehr an... Bei jeder steigenden Welle übergab man sich einmal... Beim Fallen mindestens zwölfmal, reichlicher, dichter... Meiner Mutter riß ein Windstoß den Schleier weg... ganz durchnäßt legte er sich einer Dame am andern Ende auf den Mund... die vor lauter Aufstoßen beinahe umkam... Man war nicht mehr zu halten! Der Horizont fließt über von Eingemachtem... Salat... Marengo ... Milchkaffee... dem ganzen Ragout...

Meine Mutter kriecht auf den Knien herum, sie müht sich ab und lächelt zart, während ihr der Speichel über das Kinn läuft...

«Siehst du, Ferdinand», sagt sie zu mir mitten im Schlingern, «der Thunfisch hat dir auch im Magen gelegen!...» Wir machen gemeinsame Anstrengungen. Buah!... und Buah!... Sie hat sich geirrt! es sind die Krapfen!... Ich glaube, ich könnte auch Kartoffeln hervorbringen... Wenn ich mich noch mehr anstrenge... wenn ich die ganzen Eingeweide aufs Deck auskotze... Ich versuche es... Ich mühe mich ab... Ein scheußlicher dichter Gischt geht auf uns nieder, er klatscht, er spritzt, er fegt das Verdeck rein... Der Wellenschaum spült, sprudelt, braut, wirbelt den ganzen Auswurf zu uns ... Man schluckt davon... speit es wieder aus ... Bei jedem Untertauchen entweicht die Seele... beim Auftauchen kommt sie wieder, in einer Flut von Schleim und Gestank... Salzgetränkt sickert's wieder aus der Nase heraus ... Ein Passagier fleht um Erbarmen ... Er brüllt zum Himmel, er sei schon ganz leer!... Aber bei neuer Anstrengung kommt doch noch eine Himbeere heraus!... Entsetzt schielt er darauf... Jetzt hat er wirklich nichts mehr!... Er möchte seine beiden Augen auskotzen... Er gibt sich große Mühe... er klammert sich an den Mast... er versucht, sie aus den Höhlen herauszudrücken ... Mama aber ist dabei, am Geländer zusammenzubrechen ... Sie bricht von neuem den letzten Rest aus... Es kommt eine Karotte... ein fettes Stück Fleisch... dann ein ganzer Fischschwanz heraus ...

Oben, neben dem Kapitän, beugen sich die Leute aus der ersten und der zweiten Klasse zum Kotzen über unser Deck, es ergießt sich bis zu uns... Bei jeder neuen Woge kriegt man ganze Mahlzeiten ab... Abfälle, zerfaserte Fleischreste peitschen einem das Gesicht... Mit den Windstößen fliegt es nach oben, die Wanten werden garniert... Die See brüllt um das Schiff, eine Schlacht aus Meeresschaum... Papa in seiner Sturmhaube beschützt unsere Ohnmachtsanfälle... Er stolziert herum, er hat's gut, er ist seefest!... Er gibt uns Ratschläge, wir sollen uns noch mehr hinlegen... noch mehr am Boden kriechen ... Eine Fahrgästin purzelt herbei... Sie kollert bis zu Mama... Auch ein kleiner Köter kommt, er ist so krank, daß er auf die Röcke scheißt... er wälzt sich auf dem Boden, er zeigt uns seinen Bauch... Aus den Klos kommt entsetzliches Geheul... Die vier Leute drin sind eingeklemmt und können nicht mehr kotzen, nicht mehr pissen, nichts mehr... Sie zwängen sich jetzt auf die Brille... Sie flehen, man solle sie umbringen ... Und der Kahn bäumt sich noch immer... er taucht unter... in den Abgrund ... in das dunkle Grün... Dann wippt er wieder hoch... Und hebt, der Schweinehund, einem den ganzen leeren Magen mit...

Ein untersetzter Kerl mit einem frechen Gesicht hilft seiner Frau in einen kleinen Kübel zu erbrechen... Er ermuntert sie...

«Los, Leonie!... Nur zu!... Ich bin da!... Ich halte dich.» Sie wendet plötzlich den Kopf, in der Richtung des Windes... Den ganzen Fleischsalat, der in ihrer Klappe gluckste, den verpaßt sie mir jetzt mitten in die Schnauze... Ich kriege alles mögliche ab, Bohnen, Tomaten... wo ich gar nichts mehr zum Erbrechen hatte... Aber jetzt geht's auch bei mir wieder los... Ich will meine ganzen Därme auf sie ausspeien... Es kommt mir schon hoch... Nur Mut! Ich fühle schon einen ganzen Packen auf der Zunge... Nun werde ich ihr meine ganzen Gedärme zurückkotzen... Ich schleiche mich heran ... Wir kriechen beide... Wir umklammern uns... Wir kotzen aufeinander. Mein guter Papa, ihr Mann, beide versuchen uns zu trennen ... Jeder zieht an einem Ende ... Sie haben aber auch gar kein Verständnis...

Jetzt brechen sich die üblen Racheinstinkte Bahn! Puh! Wart nur, wir werden dich beide ankotzen!... Ich verpasse seiner Schönen ein ganzes Knäuel Nudeln... mit Tomatensoße... Apfelwein von drei Tagen... Dafür gibt sie mir Schweizerkäse... Ich lutsche an den Fäden... Von Tauen umstrickt, kriecht meine Mutter ihrer Kotze nach... In ihren Röcken schleppt sie den kleinen Hund mit... Wir haben uns mit der Frau des Stämmigen vollkommen ineinander verwickelt. Um mich von seiner Frau loszukriegen, versetzt er mir mächtige Fußtritte in den Hintern ... Er gehört zum Typ «Starker Boxer»... Mein Vater will ihn kirre machen... Kaum hat er den Mund aufgemacht, pfeffert ihm der andere einen solchen Stoß in den Balg, daß er in den Bratspill fliegt... Aber das ist noch nicht alles ... Der Bulle springt ihm noch auf den Buckel... Er zerhaut ihm die ganze Fresse... er bückt sich, um ihn zu erledigen ... Papa blutet aus Mund und Nase... Das kam alles in die Kotze hinein... Er schwankte den Mast entlang... Schließlich brach er zusammen ... Aber der Mann hatte noch nicht genug... Während mich das Schlingern des Schiffs fortrollt... geht er auf mich los... Und schießt mich gegen die Latrinen... Wie ein Sturmbock pralle ich gegen die Tür... Sie zerbricht... Ich falle auf die dort eingeschlossenen Schlappschwänze ... Ich bin zwischen sie eingeklemmt... Sie haben keine Hosen an... Ich ziehe an der Schnur. Wir ersaufen beinahe!... Aber sie schnarchen weiter  - (tod)

Meerfahrt (3) Alles, was ich in mir behalten konnte, war den ersten Offizier.   - Dorothy Parker, nach:  Michaela Karl , "Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber". Salzburg 2011

Meerfahrt (4)

Wer ihre weißen Finger sieht, ist bereit, sich zu verwandeln. Alle entsteigen ihrer Haut, um sich der neuen Welt hinzugeben. Alle wissen, daß kein Schiff sie zurückbringt, aber das Füllhorn winkt. Es öffnet seine Fächer und läßt seinen Duft ausströmen. Die grünen Vögel zerreißen die Segel, und die große Sonne fällt ins Wasser. Aber solange einer die Trommel rührt, kann die Nacht nicht sinken. Der Himmel ist gelb, das Meer ist grau.

Die Fahrt dauert schon über hundert Jahre. Die Menschen schwimmen wie Haifische um ihr Schiff und das Meer ist rot von Blut. Nur die braunen Hunde strecken die Kopfe über den Schiffsrand. Sie halten kleine Mes-* ser im Maul und lassen sie von Zeit zu Zeit auf die Menschen unter ihnen fallen. Die Messer bleiben in der Sonne stecken, die tief unten auf dem Meeresgrund liegt. Die Sohne bekommt kleine Flossen.

- Meret Oppenheim: Husch, husch, der schönste Vokal entleert sich. Gedichte, Zeichnungen. Frankfurt am Main 1984

Meerfahrt (5, eheliche)   Sie war kaum eine Stunde auf See, da sagte sie, nichts könnte sie so sehr betrüben wie ihr Magen, und wo er bloß all die lange Zeit gewesen wäre, daß sie ihn gar nicht bemerkt hatte, und niemals hätte sie so hohe Wellen gesehen, und warum die nicht schon die Hälfte von England weggespült hätten; und daß nichts, was so wie dies Schiff schlingerte, vor vollständigem Umkippen sicher wäre; und als der Kapitän zum hundertsten Mal sie zu beruhigen gekommen war, weinte sie: »Ach, Captain«, und hielt sich an ihren Betttüchern fest, hatte sie doch jeden Versuch zum aufrechten Gang aufgegeben, seit sie sich unerwartet in Wendells Armen gefunden hatte und sie beide in denen des Zahlmeisters und diese alle drei an einer Säule hinten im Speisesaal. »Sie werden nicht untergehen«, sagte der Kapitän, »und was erschreckt Sie denn so? Diese Wellen sind gar nichts. Ich glaube sogar, wir werden wahrscheinlich eine der besten und glattesten Überfahrten haben.«

»Ach, mein Gott!« rief Ametia aus, »haben Sie schon Schlimmeres durchlebt als dies! Ich sehe ein, daß meine arme, liebe Schwester nur allzusehr im Recht war. Nie wieder werde ich einen solchen Sturm kreuzen, denn er schlägt mich mit wildestem Schrecken darnieder, und meine liebe Sophia ist nicht sie selbst, ist sie doch meist munter und witzig, aber jetzt braucht man sie nur anzuschauen! Und was meinen künftigen Gatten betrifft, so ist er tot, bestimmt, denn sonst wäre er doch hier und würde sich nach mir erkundigen. Gehen Sie jetzt«, bat sie den Kapitän, während die Tränen ihr die Wangen herabliefen, »und schauen Sie nach, ob nicht in Nummer neun eine Leiche umherrollt, war er doch nie sehr kräftig, und wie sollte er dies überleben, wenn ihn schon gebratene Bananen zum Brechen veranlassen!«

Der Kapitän berichtete jedoch, daß es Nummer neun blendend ging und er so gelassen wie nur denkbar eine Weintraube verzehrte, allerdings, fügte er hinzu, ein wenig grün um die Nasenspitze.

»Oh, das hartherzige Geschöpf!« rief Amelia, »er ist auf und läuft herum und fragt mich nicht einmal, wie es mir geht? Oh, wie recht meine Schwester doch hatte, wahrhaftig. Wohin bin ich nur aufgebrochen!«

Der Kapitän versicherte ihr, Wendeil esse zwar Weintrauben, liege aber flach auf dem Rücken und sähe nicht so aus, als könne er sich erheben.

»Behält er sie bei sich?« erkundigte sie sich kläglich. »Gelegentlich«, sagte der Kapitän.  - (ryder)

Meerfahrt (6)

- N. N.

Meerfahrt (7)  Wenn es kein erreichbares Festland gibt, muß das Schiff schon auf hoher See gebaut sein; nicht von uns, aber von unseren Vorfahren. Diese konnten also schwimmen und haben sich - irgendwie ans etwa herumtreibendem Holz - wohl zunächst ein Floß gezimmert, dieses dann immer weiter verbessert, bis es heute ein so komfortables Schiff geworden ist, daß wir gar nicht mehr den Mut haben, ins Wasser zu springen und noch einmal von vorn anzufangen.  Die Schwäche der zum Vollgleichnis ausgebauten Metapher ist erkennbar die, daß sie eine Anleitung zur Argumentation gegen das Verlassen des komfortablen Schiffes enthält. Sie läßt das Risiko des Absprungs und Neuanfangs aus dem schwimmenden Status naturalis alles andere als vertretbar erscheinen. Auch wenn man den philosophischen Nullpunkt als äußerste Herausforderung in geschichtlichen Situationen für möglich und unvermeidbar hält, sogar die Faszination kritischer Destruktionen auf den Stand eines Als-Ob der nichtgewesenen Geschichte nachzuempfinden vermag, kann man sich doch der Rhetorik nicht entziehen, die der Wendung der Metapher gegen die Intention ihres wagnisbereiten Benutzers innewohnt. Sie bestärkt die Neigung, auf jenem komfortablen Schiff wiederum zum Zuschauer derer zu werden, die den Mut haben und ausbreiten möchten, ins Wasser zu springen und noch einmal von vorn anzufangen - womöglich im Vertrauen auf die Rückkehr zum unversehrten Schiff als dem Reservat einer verachteten Geschichte.

Den Anfang zu denken, heißt also im Kontext des Gleichnisses; den Zustand ohne das Mutterschiff der natürlichen Sprache vorzustellen und abseits seiner Tragfähigkeit im Gedankenexperiment die Handlungen nachzuvollziehen, mit denen wir — mitten im Meer des Lebens schwimmend - uns ein Floß oder gar ein Scbiff erbauen könnten. Die demiurgische Robinson-Sehnsucht der Neuzeit steckt auch im Handwerk des Konstruktivisten, der Heimat und Erbe verläßt, um sein Leben auf das nackte Nihil des Sprunges von Bord zu begründen. Seine künstliche Seenot entsteht nicht durch die Hinfälligkeit des Schiffes, das schon ein Endstadium langwieriger Bauten und Umbauten ist. Aber offenbar enthält das Meer noch anderes Material als das schon verbaute. Woher kam1 es kommen, um den neu Anfangenden Mut zu machen? Vielleicht aus früheren Schiffbrüchen?  - Paul Lorenzen und Hans Blumenberg, nach: H. B., Schiffbruch mit Zuschauer. Frankfurt am Main  1988

Meerfahrt (8) Apischur brannte zwei Monate hindurch Kalk, füllte ihn ins Boot und belud es auch mit Lebensmitteln. Dann reiste er ab. Als er einen Monat unterwegs gewesen war, sah er von fern zwei hohe steile Felsen im Meer, zwischen denen der Weg hindurchführte. Seine Begleiter sagten zu ihm: »Sieh, dort ist das Land.« - »O nein«, antwortete er, »wir müssen noch viel, viel weiter fahren. Das sind Felsen, die von bösen Geistern bewohnt werden.« Und als sie zwischen den Felsen waren, kamen die Geister auf beiden Seiten herab und wollten das Boot vernichten. Apischur bewarf sie mit Kalk; da wurden sie sofort gebannt, und die Reisenden konnten ruhig die Fahrt fortsetzen,

Nach einem weiteren Monat begegneten sie einem gewaltigen Walfisch, der von den Leuten wieder für das gesuchte Land gehalten wurde, »O nein«, sagte Apischur, »wir müssen noch viel, viel weiter fahren. Aber kommt, laßt uns auf den Wal hinaufklettern, er soll fortan unser Boot sein und wird uns nach Falueluegarar bringen.« Da zerschlugen sie ihr Boot und warfen Mast und Segel in die See. Dann kletterten sie auf den Wal hinauf, und Apischur sagte: »Ich bin der Führer und sitze auf dem Rücken; ihr übrigen verteilt euch auf die Flossen und zwei setzen sich auf den Schwanz!« Das taten sie auch. Apischur war aber ein großer Zauberer, und als es ihm und seinen Leuten nicht mehr auf dem Fisch gefiel, da sprach Apischur kräftige Zaubersprüche, und alle saßen in der Wirbelsäule des Wals. Nach einem Monat strandete der Fisch in Falueluegarar. Da kamen die Kraniche herbei und fraßen das Fleisch des gestrandeten Tieres auf; und als die Kraniche gesättigt waren, blieben nur noch die Knochen übrig. Die trockneten in der Sonne, barsten auseinander, und als sie zerfielen, kroch Apischur mit seinen Gefährten heraus.

Sie gingen ins Land hinein und kamen bald an ein Haus, das der Frau Aliselap gehörte. Aliselap war eine böse Zauberin, sie war halb Mensch und halb Geist.  - Südsee-Maärchen. Hg.Paul Hambruch. Köln u. Düsseldorf 1979 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

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