eeresfrucht
Ganz hinten in der Grotte befindet sich ein Zementbecken voll mit
Wasser, und in dem Becken ein großer Seeigel. Es ist der Seeigel, den Merullo
von seinem Großvater geerbt hat; inzwischen ist er dick wie ein Schwein, braun
und faul; eigentlich müßte man eher reglos sagen als faul: Er braucht einen
Monat, um die Runde im Becken zu machen. Merullo besucht ihn jeden Morgen, er
gießt ihm frisches Wasser nach, prüft mit dem Finger auf der Zunge, ob das Becken
richtig gesalzen ist, schüttet die kärglichen Reste seiner kärglichen Mahlzeiten
hinein und plaudert ein wenig mit dem Seeigel, soweit eben diese Meeresfrucht
solche Gespräche verstehen kann, die sie möglicherweise nicht einmal hört, da
sie keine Ohren hat. Und einmal in der Woche wechselt Merullo das Wasser des
Beckens und läßt es über den verlassenen Stollen abfließen, der sich wie ein
nie widerrufenes Versprechen von Geheimnis am Ende der Grotte öffnet. Dann wischt
er den Boden des Behältnisses mit einem Lumpen aus, wobei er jedoch aufpaßt,
nicht mit dem großen Stachelhäuter in Berührung zu kommen, der, so reglos und
undurchdringlich er auch in einer Ecke hegt, sicher glücklich wäre, ihn mit
seinen beweglichen Stacheln stechen zu können. Wenn er die Wanne wieder mit
frischem und akkurat gesalzenem Wasser gefüllt hat, grüßt Merullo den Seeigel
und steigt dann glücklich die glitschige Höhlentreppe wieder hinauf, wie alle
Sklave seines eigenen Ungeheuers. - J. Rodolfo Wilcock, Das Stereoskop der Einzelgänger.
Freiburg 1995 (zuerst 1972)
Meeresfrucht (2)
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