auleselin   Die eine hatte sich die Schuhe und sogar die Strümpfe ausgezogen und die Hose hochgekrempelt, und sie tanzte ganz allein inmitten der weiblichen Paare, wobei sie mit dem Kopf im Takt schlug; im Rhythmus der Musik flog ihre dunkle Mähne zurück und wieder nach vorn und abermals zurück. Von vorn, so, wie Florine sie sah, ähnelte sie mit ihrem langen Hals und ihren nahe beieinanderstehenden, zu großen Augen auf absonderliche Weise einer Mauleselin. Sie wenigstens konnte keine Einheimische sein. Ihr Aussehen, ihr Gehaben, ihre nackten Füße (und die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen) waren Andeutungen, wenn nicht gar Beweise amerikanischer und tropischer Abkunft. Wenn eine andre sie zum Tanzen aufforderte, lehnte sie es mit einem Lächeln ab, das wohlbesetzte Kinnladen sehen ließ. »Ich habe Angst, daß Sie mir auf die Füße treten«, sagte sie jedesmal als Erklärung.

Jenes Mädchen forderte überraschenderweise Florine auf, als der Tanz, der eine Minute innegehalten hatte, noch ungestümer und lärmiger wieder einsetzte. »Und wenn ich Ihnen auf die Füße trete ...?« fragte Florine und zeigte ihre vergoldeten Schuhe mit den übermäßig hohen, spitzen Absätzen.

»Bei dir, Federchen, habe ich keine Angst«, sagte das Mächen. »Tanz einfach drauflos! Du kannst mich getrost treten. Das täte mir eher wohl als weh.«

Und sie nahm sie mit beiden Händen bei der Taille und stieß zweimal gegen sie, Bauch gegen Bauch, wobei sie »Han! Han!« rief, denn im gleichen Augenblick erdröhnten die Becken.

Sie hielt Florine mit ungemeiner Kraft umklammert. Diese Armmuskeln! Diese Kniegelenke! Beim Ringkampf hätte dieses Mädchen viele Männer auf die Matte gelegt, und wenn man alle Illusionen beiseite ließ, wirkte ihr Gesicht unleugbar tierisch, und das hatte etwas Abstoßendes. Ihr Körper strömte einen sehr starken Geruch aus; er erinnerte an Schafgehege, Ställe oder Kasernen, aber bei einem Brasilianer-Ball ging es nicht an, die Empfindliche zu spielen, das Mündchen zu verziehen, die Nase zu rümpfen, und der Tanz war so zügellos, daß es kleinlich gewesen wäre, nach einem andern Grund für den Gestank zu suchen. Besser, einfach draufloszutanzen, wie die andre es ihr geraten hatte. Florine schmiegte sich an ihre Partnerin, umschlang deren Oberkörper, dessen Muskeln sie unter dem leichten, feuchten Trikot spürte, als sei das Mädchen nackt, und dabei machte sie ebenfalls »Han! Han!« und stieß und schubste nach Kräften mit Schenkeln und Bauch.  - André Pieyre de Mandiargues, Schwelende Glut. In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische Bibliothek 323, zuerst 1959)

 

Esel

 

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