assenaussterben ist häufiger, verläuft rascher, ist in seiner Größenordnung verheerender und weicht in seinen Auswirkungen deutlich von unseren bisherigen Vorstellungen ab. Fälle massenhaften Aussterbens scheinen, anders gesagt, echte Störungen im geologischen Fluß und nicht bloße Höhepunkte einer Kontinuität zu sein. Sie können das Ergebnis von ökologischen Veränderungen sein, die so schnell verlaufen und solche drastischen Folgen haben, daß es den Organismen nicht gelingt, sich mit den gewohnten Kräften der natürlichen Auslese anzupassen. Ein Massenaussterben kann also alles, was sich in den »normalen« Zwischenzeiten ansammeln mag, zum Scheitern bringen, rückgängig machen und in neue Bahnen lenken.

Die eigentliche Frage, die das Massenaussterben aufwirft, ist seit jeher:

Gibt es irgendeine Regel, die bestimmt, wer durchkommt und wer nicht, und wenn ja, worauf beruht sie? Neuen Erkenntnissen über das Massenaussterben zufolge, besteht die spannende Möglichkeit, daß die Gründe eines unterschiedlichen Überlebens sich qualitativ von den Gründen des Erfolgs in normalen Zeiten unterscheiden. Damit würde der Vielfalt und Verschiedenartigkeit eine prägende, vielleicht sogar maßgebende Rolle in der Geschichte des Lebens übertragen. Das alte akkumulative Modell, die letzte noch verbliebene Hoffnung für die Fortschrittsdoktrin, wäre durch eine solche, eindeutig geologische und in großem Maßstab wirkende Kraft widerlegt. Die Paläontologen haben gerade erst begonnen, die Ursachen des unterschiedlichen Überlebens zu erforschen, und bis zu einem abschließenden Urteil wird man noch einige Zeit warten müssen. Inzwischen gibt es aber schon deutliche Anzeichen dafür, daß zwei Modelle der Strukturbildung durch massenhaftes Aussterben — ich nenne sie das Zufalls-Modell und das Modell der anderen Regeln — sich nicht nur als maßgebend erweisen werden, sondern auch die Bedeutung der Kontingenz unterstreichen.

1. Das Zufalls-Modell. Wenn ein Massenaussterben wie eine echte Lotterie funktioniert, bei der jede Gruppe ein Los besitzt, das mit ihren anatomischen Vorzügen nichts zu tun hat, liegt es wohl auf der Hand, daß die Kontingenz und ein Höchstmaß an Möglichkeiten beim erneuten Abspielen des Lebensbandes erwiesen sind. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, daß echter Zufall eine Rolle spielen könnte, Einige der Vorgänge sind so tiefgreifend, und der Kreis der Überlebenden ist so begrenzt, daß Zufallsschwankungen in kleinen Stichproben ins Spiel kommen könnten. David M. Raup hat zum Beispiel den Artenverlust beim permisch-triassischen Aussterben, dem Großvater aller späteren Katastrophen, auf 96 Prozent geschätzt. Wenn die Vielfalt auf vier Prozent ihres früheren Wertes sinkt, müssen wir damit rechnen, daß einige Gruppen durch so etwas wie Pech verlieren werden.

Jablonski (1986) hat näher untersucht, welche Rolle beim Massenaussterben Faktoren spielen, von denen man weiß, daß sie in normalen Zeiten entweder das Überleben oder die Speziation von marinen Mollusken fördern. Jablonski stellte fest, daß keiner dieser Faktoren dem Überleben unter den veränderten Bedingungen eines Massenaussterbens förderlich oder abträglich war. Man kann zumindest im Hinblick auf diese in normalen Zeiten wirksamen Kausalfaktoren feststellen, daß Arten von einem Massenaussterben zufällig verschont oder vernichtet werden. Der einzige Faktor, den Jablonski mit der Überlebenswahrscheinlichkeit korrelieren konnte, war die geographische Verbreitung: Je größer das von einer Gruppe besiedelte Gebiet, desto größer ihre Chance durchzukommen. Vielleicht sind die Zeiten in diesen Augenblicken so hart, daß die Chance, ein Versteck zu finden, um so größer ist, je mehr Raum man normalerweise einnimmt.

2.  Das Modell der anderen Regeln. Ich persönlich glaube nicht, daß der echte Zufall bei Fällen von Massenaussterben vorherrscht (wenngleich er vermutlich eine Rolle spielt, besonders bei den tief greifendsten Ereignissen dieser Art). Ich denken, daß die meisten Überlebenden aus ganz bestimmten Gründen, oft aus einem ganzen Komplex von Ursachen, durchkommen. Zugleich habe ich aber die starke Vermutung, daß jene Merkmale, die im Falle eines Massensterbens das Überleben fördern, in dieser Funktion meistens nichts mit der Ursache zu tun haben, um deretwillen sie sich zunächst entwickelt haben. - (go)

Überleben Regel Aussterben
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Synonyme