assage Dunkle Treppe, du führst zu den Freuden der Welt. Im zweiten Stock, links, steht:
Auf ein Klingelzeichen wird dir geöffnet. Die blonde, zerknitterte Gehilfin drängt dich einzutreten. Es macht zehn Francs plus dem, was du dem Fräulein zu geben bereit bist. Hat man das winzige Vorzimmer, wo höchstens zwei warten können, durchquert, hört man zur Rechten Stimmen, doch man wird nach links durch einen dunklen und engen Gang geführt, Vorsicht, Stufe, dann eine Tür und du bist im Zimmer. Die Damen bitte! Es kommen lediglich zwei angekleidete Damen, du wählst die kleinere, eine Blondine mit kurzem lockigenHaar und einem ziemlich auffälligen Goldzahn. Die anderen verschwinden. Sie umarmt dich einfach und sagt: Warte, ich nehme nur eben meinen Hut ab, bin gleich wieder da, und weg ist sie. Das Zimmer ist schmutzig, aber was tut's» Es ist ein ganz natürliches Verlangen, das einen hierher zieht. Das mittelbreite und niedrige Bett nimmt fast den ganzen Raum ein, in dem noch einige wenig stabile und staubige Sessel mit kümmerlichen Fransen als Requisiten für Spielarten des Handelns dienen können. Es gibt einen sehr niedrigen Kamin mit einer Samtdecke auf dem Sims. Hinter dem Kanapee, das zwischen Fenster und Kamin steht, ein Wandbehang. Zwischen Fenster und Bett eine vernagelte Tür, die nicht ganz dicht ist: man sieht Licht unter ihr. Altmodische Nippfiguren, einige Bilder: zwei, im Hintergrund des Zimmers über demBett, fallen einem besonders ins Auge. Es sind Stiche, im großen und ganzen recht keusch und züchtig, sicher zwei Beilagen der Soleil du Dimanche von anno dazumal. Sie scheinen von ein und demselben Künstler zu sein. Auf dem einen Stich ist rechts auf einem Feld ein Pärchen in romantischen Kleidern à la Romeo und Julia zu sehen, das ganz natürliches Liebessehnen zu spüren scheint: denn auf dem ganzen Feld, wo für gewöhnlich große bunte Schmetterlinge herumflattern, tummeln sich kleine geflügelte Amoretten, einige in der Luft, andere ins Gras gepurzelt, und wieder andere, die sich neckisch an die Beinkleider des allzu schüchternen Jünglings hängen oder seiner Schönen etwas ins Ohr flüstern. Der zweite Stich, wie der vorhergehende in Schwarz, stellt einen Alkoven dar, dessen Vorhang achtlos zerknittert ist und worin ein hübsches Mädchen schläft, anscheinend ohne zu merken - es ist sehr warm - daß die Bettdecke heruntergerutscht ist und eine noch keusche Brust sehen läßt, die bald ganz entblößt sein wird. Sie träumt. Und es sind dieselben Amoretten, die sie besuchen, eine Schaufelvoll Blutenstaub: sie schäkern miteinander in den Vorhängen, auf dem Fußboden des Zimmers und selbst im köstlichen Dunkel ihres aufgelösten Haars. Die Verschwiegenheit, die Zurückhaltung in der Darstellung dieser Stiche, läßt sie einem rein gefühlsmäßig geeigneter erscheinen, diesen Ort zu schmücken, als jene unzüchtigen Bilder, die man an den Wänden der Häuser teurer Kategorien findet. Ein Hauch von Poesie. Wo nur ist mir eben diese Poesie schon einmal begegnet? Diese begnadete Sinnlichkeit? Diese Art der Darstellung? Als mir sein Name auf die Lippen kommt, habe ich eine Erleuchtung : Heutzutage liegt über der niedrigsten Prostitution in Paris der Schatten von Theodore de Banville. Ein immerhin beneidenswertes Los für einen Dichter, seine Seele auf diese Art den kleinen verborgenen Freudenhäusern vermacht zu haben. Das ist geradeso, wie erreicht zu haben, daß die Gymnasiasten ein Gedicht auswendig lernen müssen, in dem der Lorbeer in der ersten Person spricht. Die Tür geht auf und, nur mit ihren Strümpfen bekleidet, trippelt die von mir Erwählte geziert auf mich zu. Ich bin nackt und sie lacht, weil sie sieht, daß sie mir gefällt. Komm, Kleiner, laß dich waschen. Und entschuldige, daß ich nur kaltes Wasser habe, warmes gibt's hier nun mal nicht. Mit reizenden, schamlosen Fingern wäscht sie mein Geschlecht; sie hat kleine, lustige Brüste und schon wird ihr Mund sehr vertraulich. Köstlich ordinär, wie die Vorhaut sich dank deiner Sorgsamkeit zurückschiebt, und dann diese Vorkehrungen, die dich vor Kindersegen schützen.
Man macht mir nur zu gern den Vorwurf, die Prostitution zu verherrlichen
und ihr - denn man gesteht mir an manchen Tagen eine sonderbare Macht über
die Menschen zu - auch noch Vorschub zu leisten. Auch mißtraut man der
Vorstellung, die ich mir im Grunde von der Liebe machen dürfte. Wie, muß
ich nicht einen Hang zu dieser Leidenschaft und ziemlich große Achtung
vor ihr haben, die ich einfach für einzigartig halte, daß mich kein Widerwille
von ihren so profanen, so unwürdigen Altären fernhalten kann? Heißt das
nicht, ihr Wesen zu verkennen, wenn man sie mit dieser Erniedrigung für
unvereinbar hält, dieser völligen Negation des Abenteuers, das ja doch
mein eigenes Abenteuer ist, des Menschen, der kopfüber ins Wasser springt
und auf jegliche Maskerade, die für den, der wirklich hebt, etwas Berauschendes
hat, verzichtet? Ich entlarve hier eine Lüge, eine Heuchelei, was freilich
nie den Beifall desjenigen finden dürfte, der einmal von einer Frau völlig
besessen war: Sind eure so läppischen, so banalen Liebschaften und Abenteuer,
von denen ihr nicht zu lassen gedenkt, selbst dann nicht, wenn sich euch
in eurer Unruhe ein größerer Sinnentaumel bemächtigt, sind diese erbärmlichen
Behelfe mit ihren sittsamen Albernheiten, der Verschämtheit und dem Gelöbnis
ewiger Liebe denn etwas anderes als das, was ich im Bordell finde, wenn
ich den halben Tag lang, nur das eine im Kopf, durch die Straßen gelaufen
bin und schließlich die Tür zu meiner Freiheit aufstoße? Sollen die glücklichen
Leute den ersten Stein werfen: sie brauchen diese Atmosphäre nicht, in
der ich mich wieder jünger fühle bei den Wirren, die mein Leben nur öde
gemacht haben, und der Erinnerung an frühere Liebschaften, deren Spuren
und Fährten in meinem Herzen noch sehr frisch sind. Was kann es mir ausmachen,
wenn ein Mann, stolz darauf, daß es ihm gelungen ist, sich an einen einzigen
Körper zu gewöhnen, dieses Vergnügen, das ich hier von Zeit zu Zeit finde,
wenn ich zum Beispiel mehrere Tage ohne Geld war und mich nach der Lohnzahlung
so etwas wie eine leutselige Stimmung unweigerlich in die Arme der Mädchen
treibt, was also kann es mir ausmachen, wenn er dieses Vergnügen für eine
Art von Masturbation hält? Meine Masturbationen sind so gut wie die seinen.
Und es gibt da einen Reiz, der sich nicht erklären läßt, man muß ihn spüren:
ich glaube eine fremde Sprache zu sprechen, wenn ich euch erklären muß,
was mich hierher zieht, und ihr nicht die gleiche Erfahrung gemacht habt
oder wenn es für euch eine besondere Art von Music-hall ist, in die man
nach einem Trinkgelage scharenweise zieht, des Juxes wegen, womit ihr einem
Märchen vom Royal-Palais aufsitzt. Noch heute ist mir wie einem Schuljungen
zumute, wenn ich mit merkwürdiger Erregung über diese Schwellen trete.
Es will mir einfach nicht in den Kopf - derber Spaß ist mir fremd - daß
man anders als allein und ernst ins Bordell gehen kann. Ich gehe dort dem
großen reinen Verlangen nach, das manchmal von einigen Gesichtern, die
ich einst gehebt habe, ausgelöst wird. Eine Glut wird entfacht. Nicht einen
Augenblick denke ich an die gesellschaftliche Seite dieser Häuser: Von
einer Maison de tolérance kann ernstlich nicht die Rede sein. Im
Gegenteil, ich fühle mich an diesen Zufluchtsorten frei von jeder Konvention:
in heller Anarchie, wie man sagt in heller Verzweiflung. Oasen. Da nützt
mir weder diese Sprache, dieses Wissen noch auch diese Erziehung, durch
die man mir beigebracht hat, mich in der Welt zu bewegen. Trug- oder Spiegelbild:
großes Entzücken leuchtet in diesem Dunkel und stützt sich auf den Sims
der Verwüstung in der klassischen Pose des Todes, der soeben sein Leichenhemd
zu Boden gleiten ließ. O mein knöchernes Abbild, hier bin ich: auf daß
im Palast der Illusionen und des Schweigens schließlich alles vermodere.
Die Frau fügt sich bereitwillig meinen Wünschen, ja kommt ihnen zuvor,
und nachdem sie meine Triebe jäh entfesselt hat, deutet sie schlicht auf
meinen Schwanz und bittet mich ebenso schlicht um das, was sie liebt.
- (ara)
Massage (2)
- Tomi Ungerer
Massage (3)
Die Sahiba suchte unter der Menge armer Verwandter (Haushunde nennt
man sie hierzulande), die die Hintergebäude bevölkerten, die Witwe eines Vetters
hervor, die geübt war in der Kunst, die von Europäern, die nichts davon verstehen,
Massage genannt wird. Und sie beide packten Kim, schoben ihn ostwärts und westwärts,
auf daß die geheimnisvollen Erdströmungen, die den menschlichen Leib durchrieseln,
mithülfen statt hinderten, und nahmen ihn stückweise vor, Muskel für Muskel,
Knochen für Knochen, Sehne für Sehne und schließlich Nerv für Nerv. Zu einer
unzurechnungsfähigen breiigen Masse geknetet, halb hypnotisiert durch das ewige
Hin und Her der immer wieder herabgleitenden Gesichtsschleier der beiden, glitt
Kim zehntausend Meilen tief in Schlummer. Sechsunddreißig Stunden hielt der
Schlaf an, der sich einsaugte wie Regen nach der Dürre. -
Rudyard Kipling, Kim. Nach
(ki)
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