Manöver   Nicht die Polizei kam wieder, die Armee kam. Der Regierungspräsident war ebenso störrisch wie der Gemeindepräsident und war nicht nur Vorsteher des kantonalen Justiz- und Polizeiwesens, sondern auch Oberst, wie jeder echte Magistrat. Da die Division, zu der sein Regiment gehörte, sich anschickte, ihr Manöver abzuhalten, schlug er dem Oberstdivisionär und dem Stabschef vor, sein Regiment ins Durcheinandertal zu führen, die Leute dort fühlten sich von der Landesverteidigung vernachlässigt. Auf den Einwand des Oberstdivisionärs, es sei kaum wahrscheinlich, daß jemand über den Spitzen Bonder eindringe, entgegnete er, die Russen hätten im Kaukasus Kletterspezialisten, die über den Spitzen Bonder infiltrieren könnten, dann müßte das Durcheinandertal durchkämmt werden, wäre das der Fall, und was der Fall sein könne, müsse geübt werden.

»Mit einem Regiment?« fragte der Stabschef stirnrunzelnd. Sie saßen im >Steinbock< im Hinterzimmer und waren besoffen. »Und wer sollen die russischen Spione sein? Die müssen doch irgendwie markiert sein.«

»Der Hund des Gemeindepräsidenten«, sagte der Regierungspräsident. »Er muß erschossen werden. Auf Anweisung der Kantonalen Justizdirektion.«

Der Oberstdivisionär schüttelte den Kopf. »Der Hund ist Sache der Polizei.«

»Nicht wenn er ein sowjetrussischer Spion ist«, sagte der Regierungspräsident.

Der Stabchef dachte nach: »Weiß das der Hund?«

»Wir müssen ihn zuerst tragen«, überlegte der Oberstdivisionär. »Wenn der Hund schon einen Spion darstellen soll, kann er diese Rolle nur freiwillig übernehmen. Ihn einfach abzuknallen und dann zu behaupten, er sei ein russischer Spion, ist unfair.«

»Ich weiß nicht, ob die Armee gegen einen einheimischen Hund überhaupt vorgehen darf«, gab der Stabchef zu bedenken.

»Er ist ein Spion«, stellte der Regierungspräsident kategorisch fest und zupfte seine Uniform zurecht.

Der Oberstdivisionär zögerte. »Er stellt nur den Spion dar. Gut, das können wir ja annehmen. Aber erschießen? Im Manöver? Zum Schein, meinetwegen. Aber echt?«

Doch weil der öberstdivisionär den Regierungspräsidenten nicht verärgern wollte, erlaubte er schließlich Einsatz und Exekution. Der Regierungspräsident täuschte eine Nachtübung vor und rückte mit seinem Regiment ms Tal ein. Das Dorf wurde im Morgengrauen umzingelt, die Dorfausgänge mit Panzern gesperrt. Unter dem Vorwand, es sei Manöver und man übe das Suchen von russischen Spionen und einer habe sich als Mani verkleidet, wurde zuerst das Haus des Gemeindepräsidenten und dessen Stall untersucht, darauf durchwühlten die Soldaten die anderen Häuser, scheuchten die Bewohner aus den Betten und trieben das Vieh aus den Ställen, um jeden Winkel mit schußbereitem Sturmgewehr zu durchstöbern. Stellte ein Bataillon das Dorf auf den Kopf, durchkämmte ein zweites den Wald hinter dem Kurhaus, während das dritte, eine Kette bildend, die Schattenseite hochstieg, mühsam, weil es bald in den Schnee geriet, doch beendeten drei Schüsse aus einer Panzerkanone die Suche. Ein Leutnant hatte mit seinem Armeefeldstecher vom Panzerturm aus auf einem. Felszacken des Spitzen Bonders etwas entdeckt.

»Komm her!« Der Panzerschütze kletterte zum Leutnant, der ihm den Armeefeldstecher gab. »Dort.«

Der Panzerschütze suchte, beobachtete. »Ein Hund«, sagte er.

»Der Spion«, sagte der Leutnant.

»Ich weiß nicht«, sagte der Panzerschütze. »Er bewegt sich nicht.«

»Er verstellt sich nur«, erklärte der Leutnant, »um nicht aufzufallen. Er spielt den Spion verdammt gut.«

»Wenn Sie glauben«, sagte der Panzerschütze.

»Drei Schüsse!« befahl der Leutnant.

Der Panzerschütze gab drei Schüsse ab, worauf, nachdem die Staubwolke sich gelegt hatte, nicht nur Mani verschwunden war, sondern auch der Felszacken, auf dem er gesessen hatte.

»Siehst du«, lachte der Leutnant, »den haben wir erledigt.«

Der Regierungspräsident residierte in seiner Oberstuniform wie ein Landesfürst im ›General Guisan‹.

»Fein«, sagte er, als ihm der Leutnant den Volltreffer meldete, und ließ eine zweite Flasche Zizerser kommen, »dazu haben wir die Armee, und da gibt es noch Kälber, die ihre Abschaffung fordern.«    - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich 1998

 

Militär Übung

 

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