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(hes)
Mannequin (2) Ich wollte mir die Komik der Situation zu Bewußtsein bringen. Ich versuchte meine Nerven durch meinen Intellekt zu beruhigen. Ich unterdrückte mein Grauen, blieb vor dem Schaufenster stehen und musterte das Wachsmädchen eindringlich.
Ich brauchte mich meiner Täuschung nicht zu schämen. Ohne den ganz leichten Firnisglanz hätte man die Haut in ihrer lockeren Weichheit für natürlich halten müssen. Und bei den goldgrünen Augen konnte man unmöglich an eine schematische Fabrikausführung denken.
Wie ich die Figur noch betrachtete, begann die Sonne den trüben Morgendunst, der über dem engen Straßenschacht lag, zu durchdringen. Da erkannte ich, daß der Bildner nichts vergessen hatte. Selbst kleine Mängel, wie sie die Natur hervorbringt, fehlten nicht. So, ein kleines Leberfleckchen und der zarte Haarflaum unterhalb der Ohren, auf der Wange, wie ihn dunkle Blondinen haben. Das Gesicht dieser Figur war nicht etwa ein beliebiges Puppengesicht. Leichte Ränder unter den Augen, wie sie Frauen nach einer durchtanzten Nacht haben, markierte Züge unter der Nase, kleine Fältchen um den Mund, rote, ein wenig aufgeworfene Lippen verliehen dieser wächsernen Kreatur einen leicht lasterharten Charakter, wie ihn die Großstadt in tausend Spielarten hervorbringt.
Je länger ich diese Figur betrachtete, desto unsicherer wurde ich wieder. Sie schien mir doch zu leben. Es war, als schlössen und öffneten sich die Augen.
Da spaltete sich die dunkelgrüne Wand, die den Hingergrund der Auslage bildete, und ein Herr mit pomadisiertem, schwarzen Scheitel, gewirbeltem Schnurrbart, graugestreiften Beinkleidern, Cutaway, Lackstiefeln und blendend weißer Wäsche erschien. Er schien wie ein lebendig gewordenes wächsernes Männermodell. Er ging, als wäre er durch ein Uhrwerk bewegt, und näherte sich mit süßlich verbindlichem Lächeln der Dame mit den goldgrünen Augen.
Jetzt umspannte er mit den Händen die schlanke Taille und trug das Figürchen
davon. Mir war alles wie verkehrt. Es schien mir, als raubte eine männliche
Wachsfigur eine lebendiges Menschenweib. - Friedrich Freksa,
Berliner Reiseerlebnis.
In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg.
Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1919)
Mannequin (3) Ein Nachbar fuhr auf dem Hof in
einem blauen Arbeitsanzug auf dem Fahrrad herum. Er beschrieb Kreise und Achten.
Jedesmal, wenn er unter Trelkovskys Fenster vorbeikam, lächelte er breit und
zwinkerte ihm zu. An seinem Sattel war ein Seil befestigt. An dem Seil hing
eine Wachspuppe, die eine Frau darstellte. Es war eine Puppe, wie sie in Schaufenstern
zum Ausstellen der Kleider verwendet werden. Das Mannequin sprang bei den Unebenheiten
des Bodens hoch, die Arme bewegten sich und vermittelten die Illusion, lebendig
zu sein. Doch bald rieb sich das Wachs auf, das Mannequin nutzte sich durch
die Berührung mit der Erde ab. Wie von einer Säure zerfressen, löste sich die
Figur auf. Als nur noch zwei Beine hinter dem Fahrrad übrig waren, gab der Nachbar
Trelkovsky ein ironisches Zeichen und entschwand.
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Roland Topor, Der Mieter. Zürich 1976 (detebe 20358, zuerst 1964)
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