ann, wilder  Die hessischen Wildmänner gehen entweder baumgroß über die Berge und rütteln an den Wipfeln des Waldes, oder sie wandeln, sich klein machend, zwischen den Schachtelhalmen einher. Ihre Frauen steigen oft in Mondnächten in die Lüfte. Ihre Kleidung ist grün und rauh, moosbewachsen, gleichsam zottig, ihr Haar lang und aufgelöst, ihr Rücken hohl wie ein morscher Baumstamm oder ein Backtrog, die Brüste können sie über die Schulter werfen. - (her)

Mann, wilder (2) Sein ganzer Körper war behaart, und seine Locken waren wie die einer Frau oder wie das Haar der Göttin des Kornes. Außerdem wußte er nichts von bestellten Feldern oder menschlichen Wesen, und er war gekleidet wie ein Gott der Herden. Er aß Gras mit den Gazellen, drängte sich mit den wilden Tieren um die Wasserstelle und war dort glücklich mit den Tieren ...

 Als man Gilgamesch von dem Wunder erzählte, sagte er: »Geh, mein Jäger, nimm eine Tempelhure mit dir, und wenn er mit den Tieren an die Wasserstelle kommt, dann soll sie ihre Kleider abwerfen, ihre Nacktheit zeigen, und wenn er es sieht, wird er zu ihr gehen; danach werden ihn die Tiere verlassen, die mit ihm zusammen auf der Ebene aufwuchsen.«

Der Jäger und die Tempelhure machten sich auf, und drei Tage später kamen sie an die Wasserstelle. Dort saßen sie einen Tag, zwei Tage, und am folgenden Tag kamen die Tiere, und Enkidu war mit ihnen und aß von dem Gras wie die Gazellen ...

Mann, wilder

Der "Wilde Mann"
Il bassorilievo di Orione, deità tutelare dei marinai,
del Sedile di Porto a Napoli,
nach einer Zeichnung von Andrea Petroni (Napoli nobilissima V (1896), fasc.V, p.66)
- Aus: Klaus J. Heinisch, Der Wassermensch. Stuttgart 1981

Die Frau tat wie ihr geheißen, entblößte ihre Brüste, offenbarte ihre Nackheit. Enkidu kam und nahm Besitz von ihr. Sie fürchtete sich nicht, sondern legte ihre Kleidung fort und freute sich seiner Leidenschaft; und sechs Tage und sieben Nächte lag Enkidu bei der Tempelmagd und erfreute sich ihres Körpers — erst dann wandte er sich ab und ging zu den Tieren. Doch als sie ihn sahen, liefen sie davon, und Enkidu war erstaunt. Sein Körper erstarrte, seine Knie gefroren — die Tiere waren fort. Alles war anders. - Gilgamesch-Epos, nach: Robert Bly, Eisenhans. Ein Buch über Männer. München 1991 (zuerst 1990)

Mann, wilder (3) Der Jäger begab sich mit seinem Hund in den Wald. Es dauerte nicht lange, so geriet der Hund einem Wild auf die Fährte und wollte hinter ihm her: kaum aber war er ein paar Schritte gelaufen, so stand er vor einem tiefen Pfuhl, konnte nicht weiter, und ein nackter Arm streckte sich aus dem Wasser, packte ihn und zog ihn hinab. Als der Jäger das sah, ging er zurück und holte drei Männer, die mußten mit Eimern kommen und das Wasser ausschöpfen. Als sie auf den Grund sehen konnten, so lag da ein wilder Mann, der braun am Leib war wie rostiges Eisen, und dem die Haare über das Gesicht bis zu den Knien herabhingen. Sie banden ihn mit Stricken und führten ihn fort in das Schloß. Da war große Verwunderung über den wilden Mann, der König aber ließ ihn in einen eisernen Käfig auf seinen Hof setzen und verbot bei Lebensstrafe, die Türe des Käfigs zu öffnen, und die Königin mußte den Schlüssel selbst in Verwahrung nehmen. - (grim)

Mann, wilder (4)  Lebte da auf der durch den Dänisch-Preußischen Krieg berühmten Insel Alsen ein Dorfschullehrer, ein sonst ruhiger, jetzt wilder Mann. Er dachte, in Deutschland sei wirklich Revolution ausgebrochen, das Zeitungslesen hatte ihn wie viele andere irregeführt. Da ihn keiner ernannte, ernannte er sich selber, und zwar zum Herrscher von Alsen. Dem wilden kleinen Mann schwebte vor, selbstherrlich auf der Insel Alsen, mitten im Meer, zu regieren und sich da von niemand dreinreden zu lassen, und wenn es der Noske in Kiel wäre. Welche neuen Methoden er auf Alsen einführen wollte, gab er nicht gleich bekannt. Er brach aber sofort die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und erklärte, eine neue Landessprache einführen zu wollen, um die Trennung zu unterstreichen. Ja, er hatte eine Alsensche Originalsprache vor, die es aber noch nicht gab und deren Konstruktion ihm Schwierigkeiten inachte, da sie weder deutsch noch dänisch sein durfte, sondern in allen Teilen alsensch, das vom Meer umschlungen lag. Da saß er denn auf der Suche nach dieser Sprache am Meeresstrand und belauschte die Fische, welche seine nächsten Nachbarn waren, und er kam, ohne sein Geheimnis zu verraten, auf die Idee, Fische aus dem Wasser zu holen und sie auszuhorchen, weil ja das Wasser alle Geräusche verschluckt. Sein Problem war: Wie soll man Fische verstehen, wo sie dauernd mit vollem Munde reden, und wie kann man Fische außerhalb des Wassers zum Reden bringen? Er löste das Problem nicht. Er griff nach einem zu hohen Ziel.

Es gab außer diesem wilden Mann auf Alsen eine kleine Fischerbevölkerung, der er zu revolutionär war und die sich daher hilfeflehend an Noske nach Kiel wandte. Er schickte, grob und ungeschlacht wie er war, ein paar Soldaten herüber und ließ den wilden Mann fassen und einsperren, und zwar beleidigenderweise nicht in eine Festung, sondern in ein Lazarett, wo man ihn ins Bett legte und mit Schlafmitteln fütterte. Man hielt ihn einfach für verrückt. Er fügte sich ins Unvermeidliche, schlief und schlief. Und wie er aufwachte, fand er sich ebenso wie zuvor und brach aus. Soldaten zogen wieder an den Strand von Alsen, faßten ihn, sperrten ihn ein und gaben ihm wieder Schlafmittel. Er fügte sich ins Unvermeidliche, schlief und schlief, fand sich wie zuvor und brach wieder aus.

Die Alsensche Revolution war nicht auszurotten. Jetzt hatte Noske genug. Er steckte den wilden Mann ins Gefängnis. Wenn der Mann so viel von der Revolution hielt, dann sollte er merken, daß zu einer deutschen Revolution zwei gehörten, wovon der eine Noske war. Der Mann saß. Es konnte wirklich ein Hochverratsprozeß daraus werden. Lostrennung von Deutschland, Einführung einer Fremdsprache und so weiter. Ein Kriegsgerichtsrat bekam die Akten in die Hand, und die Haare standen ihm zu Berge, als er von der Fischsprache erfuhr, die der Verbrecher auf Alsen einfuhren wollte. Es war Hochverrat. Und zweifellos mehr als das: Hochseeverrat.

Da meldete sich im Gefängnis die Frau des wilden Mannes, die sein Amtsgeschäft als Schullehrer auf Alsen hatte übernehmen müssen. Sie hatte ein Kind und ein lahmes Bein, das war alles, was sie besaß, und beide hatte sie sich erst neuerdings zugezogen. Der Mann war tief gerührt, als sie kam, und das Menschliche regte sich in ihm. Und als das Kind schrie, horchte der wilde Mann auf. Er bemerkte, die Mutter verstand aus dem bloßen Geschrei, was das Kind wollte. Es machte Eindruck auf ihn. Es rührte an seine Probleme von der Fischsprache. Man konnte diese fallenlassen und die Säuglingssprache einfuhren kein Reden, sondern Schreien, Brüllen. Ja, nur mit Brüllen macht man sich verständlich, und das war die Revolution.

Die Frau sagte, sie könnten zu ihren Eltern in der Nähe von Dresden gehen. Darauf gab sich der Mann einen Ruck und stimmte zu. Er wollte in Ruhe die Säuglingssprache studieren. Die Revolution mußte gründlich vorbereitet werden. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Man mußte brüllen. Noske gab ihm seinen Segen und entließ den wilden Mann aus der Haft, der sich alsdann unter den vielen anderen draußen verlor, welche es schon wie die Säuglinge machten. - Alfred Döblin, November 1918. Eine deutsche Revolution. Bd.4. München 1978 (dtv 1389, zuerst 1939 ff.)

Mann, wilder (4)  Des wilden Mannes Haut ist gantz rauch, das Gesichte dörre und verbrannt, die Augen liegen tieff im Kopffe, und sieht im übrigen gar grimmig aus: doch sind die Liniamenten des Gesichts noch ziemlich wohl gestellt, ob sie gleich von der Sonnen-Hitze ausgelauffen, und ganz rauhe worden. Er geht als wie ein Mensch, nur auf zweyen Füssen, aber dermassen schnell, daß einer, der zu Pferde ist mit Mühe, auch im völligen Galopp ihn wird einhohlen können: anbey hat er eine gantz abscheuliche Stärcke. Die Könige und Printze haben ihre gröste Lust, wenn sie ihn als Hirsch jagen können.  -  Zedler, nach Wikisource


Mann

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