angel  Ich glaubte, daß Menschen, die am ehesten dazu neigten, Yetis zu »sehen«, entweder schlichten Gemüts oder schizophren waren, fromme Asketen oder die Allerärmsten (beide Kategorien leiden unter Proteinmangel), oder aber Menschen, die in großer Höhe leben und deren Gehirn weniger Sauerstoff bekommt. Vielleicht war der Yeti eine Höhenhalluzination. Doch wie sollte ich Sangye das erklären?

»Du hast recht«, sagte ich, indem ich mich um das Thema drückte. »Der Yeti muß eine Art Gott sein.«   - Bruce Chatwin, Was mache ich hier. Frankfurt am Main 1993 (Fischer - Tb. 10362, zuerst 1989)

Mangel (2) Sich den fremden Mangel zu Nutze machen: denn erzeugt er den Wunsch; so wird er zur wirksamsten Daumschraube. Die Philosophen haben gesagt, der Mangel, oder die Privation, sei nichts: die Politiker aber meinten, er sei Alles. Letztere haben es am besten verstanden. Manche wissen aus dem Wunsche der Andern eine Stufe zur Erreichung ihrer Zwecke zu machen.  Sie benutzen die Gelegenheit und erregen Jenen, durch Vorstellung der Schwierigkeit des Erlangens, den Appetit. Sie versprechen sich mehr von der Leidenschaftlichkeit der Sehnsucht, als von der Lauheit des Besitzes. Denn in dem Maaße, als der Widerstand zunimmt, wird der Wunsch leidenschaftlicher. Andre in Abhängigkeit zu erhalten wissen, um seine Zwecke zu erreichen, ist eine große Feinheit.  - (ora)

Mangel (3)  Professor August Hirth konnte im Februar 1942 rückblickend nur einen Mangel ausmachen: »Es sind nahezu von allen Rassen und Völkern umfangreiche Schädelsammlungen vorhanden. Nur von den Juden stehen der Wissenschaft so wenig Schädel zur Verfügung.« Allerdings nahte Rettung an der Ostfront. Dort sollte die Feldgendarmerie Juden gefangennehmen und diese von Jungärzten oder Medizinstudenten vermessen und fotografieren lassen. »Nach dem danach herbeigeführten Tode des Juden, dessen Kopf nicht verletzt werden darf, trennt er den Kopf vom Rumpf und sendet ihn, in eine Konservierungsflüssigkeit gebettet, in eigens zu diesem Zweck geschaffenen und gut verschließbaren Blechbehältern zum Bestimmungsort.«  - Ilija Trojanow, Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton. München 2008 (zuerst 2007)

Mangel (4)  Alles Wollen entspringt aus Bedürfniß, also aus Mangel, also aus Leiden. Diesem macht die Erfüllung ein Ende. Jedoch gegen einen Wunsch, der erfüllt wird, bleiben wenigstens zehn versagt: ferner, das Begehren dauert lange, die Forderungen gehn ins Unendliche; die Erfüllung ist kurz und kärglich bemessen. Sogar aber ist die endliche Befriedigung selbst nur scheinbar: der erfüllte Wunsch macht gleich einem neuen Platz: jener ist ein erkannter, dieser ein noch unerkannter Irrthum. Dauernde, nicht mehr weichende Befriedigung kann kein erlangtes Objekt des Wollens geben: sondern es gleicht immer nur dem Almosen, das dem Bettler zugeworfen, sein Leben heute fristet, um seine Quaal auf Morgen zu verlängern. - Darum nun, solange unser Bewußtseyn von unserm Willen erfüllt ist, solange wir dem Drange der Wünsche, mit seinem steten Hoffen und Fürchten, hingegeben sind, solange wir Subjekt des Wollens sind, wird uns nimmermehr dauerndes Glück, noch Ruhe. Ob wir jagen, oder fliehn, Unheil fürchten, oder nach Genuß streben, ist im Wesentlichen einerlei: die Sorge für den stets fordernden Willen, gleichviel in welcher Gestalt, erfüllt und bewegt fortdauernd das Bewußtseyn; ohne Ruhe aber ist durchaus kein wahres Wohlseyn möglich. So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus.   - (wv)

Mangel (5)  Albert Pierrepoint, Englands Oberhenker, kam gestern in Graz an. Er wird acht Todesurteile an Personen vollziehen, welche vom britischen Militärgericht verurteilt wurden. Außerdem will er österreichische Amtspersonen über die heute in England geübte Hinrichtungsmethode instruieren. Der Grund für seine Anwesenheit ist der Mangel an erfahrenen österreichischen Henkern.   - (met)

Mangel (6)   Was fehlt einem, wenn man brave, rechtliche Eltern, achtungs und liebenswerthe Freunde, geistvolle und mannichfache Bekannten, einen unbescholtnen Ruf, eine gefällige Gestalt, convenzionelle Lebensart, einen meistens gesunden Körper, angemessene Beschäftigungen, angenehme und nüzliche Fertigkeiten, eine heitere Seele, ein mäßiges Auskommen, mannichfaltige Schönheiten der Natur und Kunst um sich her, ein im Ganzen zufriedenes Gewissen - und entweder die Liebe, die Welt und das Familienleben noch vor sich - oder die Liebe neben sich, die Welt hinter sich, und eine gutgerathene Familie um sich hat - ich dächte dort nichts, als fleißiger Muth und geduldiges Vertrauen - hier nichts - als Glauben und ein freundlicher Tod.  - Novalis, Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen (entst. 1798)

Besitz

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme