Machtausübung   Die Beziehung jedes Menschen zum eigenen Kot gehört in die Sphäre der Macht. Nichts hat so sehr zu einem gehört, als was zu Kot geworden ist. Der konstante Druck, unter dem die Speise gewordene Beute steht, während der ganzen langen Weile, die sie durch den Leib wandert, ihre Auflösung und die innige Verbindung, die sie mit dem Verdauenden eingeht, das vollkommene und endgültige Verschwinden erst aller Funktionen, dann aller Formen, die einmal ihre eigene Existenz ausgemacht haben, die Angleichung oder Assimilation an das, was vom Verdauenden als Leib bereits vorhanden ist — all das läßt sich sehr wohl als der zentralste, wenn auch verborgenste Vorgang der Macht sehen. Er ist so selbstverständlich, selbsttätig und jenseits alles Bewußten, daß man seine Bedeutung unterschätzt. Man neigt dazu, nur die tausendfachen Spaße der Macht zu sehen, die sich oberirdisch abspielen; aber sie sind ihr kleinster Teil. Darunter wird tagaus, tagein verdaut und weiterverdaut. Etwas Fremdes wird ergriffen, zerkleinert, einverleibt und einem selber von innen her angeglichen; durch diesen Vorgang allein lebt man. Setzt er aus, so ist man selber bald am Ende; soviel davon weiß man immer. Aber es ist klar, daß alle Phasen dieses Vorgangs, nicht nur die äußerlichen und halbbewußten, sich auch im Seelischen abzeichnen müssen. Ihre Entsprechungen hier zu finden, ist nicht ganz leicht; manche wichtigen Spuren werden sich im Lauf dieser Untersuchung wie von selber zur Verfolgung anbieten. Besonders aufschlußreich sind hier die Krankheitserscheinungen der Melancholie.

Der Kot, der von allem übrigbleibt, ist mit unserer ganzen Blutschuld beladen. An ihm läßt sich erkennen, was wir gemordet haben. Er ist die zusammengepreßte Summe sämtlicher Indizien gegen uns. Als unsere tägliche, fortgesetzte, als unsere nie unterbrochene Sünde stinkt und schreit er zum Himmel. Es ist auffallend, wie man sich mit ihm isoliert. In eigenen, nur dazu dienenden Räumen entledigt man sich seiner; der privateste Augenblick ist jener der Absonderung; wirklich allein ist man nur mit seinem Kot. Es ist klar, daß man sich seiner schämt. Er ist das uralte Siegel jenes Machtprozesses der Verdauung, der sich im Verborgenen abspielt und ohne dieses Siegel verborgen bliebe.  - (cane)

 

Macht

 

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