uftveränderung  Es gibt gegen diese Krankheit (Melancholie) nichts besseres als die Luftveränderung, als auf und ab zu wandern, wie die Zalmohenser-Tataren, die in Horden leben und die Gelegenheit nutzen, die Zeit, Ort und Jahreszeit bieten. - (bur)

 Luftveränderung (2) Paris. 16. Mai 1930. Freitag Nachmittags nach Marly; Maillol besucht. Im Garten waren Mme. Maillol und Maillols Schwester, Mme. d'Espie, eine Frau von über Siebzig, der man noch ihre frühere Schönheit und ihren Charme ansieht; sie ist noch heute reizend. Mme. Maillol begleitete mich ins Atelier, wo, wie sie sagte, ›il a modèle‹, und er mich mit seinem ›Modell‹ Lucile Passavant, die sich eben wieder anzog, bekannt machte. Ich fand sie nicht sehr schön, etwas rundlich, ziemlich roh geschminkt, aber intelligent; und Maillol zeigte mir kleine Tonfiguren, die sie modelliert hat und die zweifellos eine wirklich künstlerische Begabung zeigen.

Da Mme. Maillol nicht von meiner Seite wich, um uns nicht allein zu lassen, sagte ich Maillol, ich möchte mir den Bronzeguß seiner Riesenfigur für Puget-Theniers, der im Schuppen stand, ansehen, und ließ Mme. Maillol mit der Passavant im Atelier stehen. Maillol folgte mir auf dem Fuß in den Schuppen und meinte: Voyez-vous comme ma femme est insupportable; elle ne veut pas que je vous parle seul. Je n'en peux plus. Elle me fait des scènes perpetuelles usw. Ich hatte schon Mme. Maillol im Garten gesagt, daß Maillol, der immer noch kränkelt, eine Luftveränderung guttun werde; was sie bejahte. Ich schlug nun Maillol nochmals, wie schon in Banyuls, vor, er solle mit mir nach Weimar kommen, was er sofort mit sichtbarer Erleichterung und Freude annahm; er war nur enttäuscht, als ich ihm sagte, wir könnten erst nächste Woche reisen, da ich erst noch nach London müsse. Er schien dabei als selbstverständlich vorauszusetzen, daß die Passavant mit nach Weimar kommen würde, und natürlich, daß seine Frau dieses nicht erfahre; dabei zwinkerte er mir mit einem Auge zu.

Es ist also eine regelrechte Flucht aus der Ehe, die bei einem siebenundsechzigjährigen Mann etwas Tragisches hat, bei der ihm Hilfe zu leisten ich aber keine Bedenken trage, weil seine Frau ihm dreißig Jahre lang mit ihrer irrsinnigen Eifersucht im Wege gestanden ist und ihn verhindert hat, jemals ein annehmbares weibliches Modell zu haben. Er hat sich mit allerlei zufälligen Photographien und Heften von Nacktzeitschriften begnügen müssen. Wenn er jetzt endlich diese Drangsalierung satt bekommen hat und etwas Freude und Freiheit sich erobern will, so kann man ihm nur recht geben. Mme. Maillol hat es sich nur selber zuzuschreiben. - Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918 bis 1937. Hg. Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt am Main 1982 (it 659)

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