uftnummer  Ohne Übertreibung und Selbstüberhebung darf ich sagen, daß ich stets großen Erfolg mit meiner Luftnummer hatte. Aber mit diesem Erfolg hatte es auch eine besondere Bewandtnis; und erst die weiteren Ereignisse enthüllten mir die Gründe dafür.

Von meinem ersten Auftreten an mußte ich feststellen, daß alle Plätze in der unmittelbaren Nachbarschaft des Absprungbrettes ausnahmslos besetzt waren, und zwar ausschließlich — von Damen. Bei einer Vorstellung zum Beispiel — ich glaube, es war die fünfte — brach aus einer dichten, wallenden Wolke von Tüll, Seide und Moiré, direkt unter mir, ein Sturm los, der recht interessant zu werden versprach. Die Schlacht entbrannte just in dem Moment, als ich meine Vorführung beginnen wollte.

Zwei dieser Bienen, eine Brünette und eine Blonde, waren sich in die Haare geraten und hätten sich sicherlich gegenseitig grün und blau geschlagen, wenn ihnen nicht ihr gigantischer Kopfputz natürliche Schranken gesetzt hätte.

Leider mußte ich mich in diesem entscheidenden und kritischen Augenblick ins Nichts schwingen. Ich stieß ab. Aber dieses merkwürdige Duell amüsierte mich dermaßen, daß ich trotz des Risikos alles mögliche versuchte, um die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade als ich die Stange losließ, um mit einer gefährlichen Drehung zum Trapez zurückzufliegen, sah ich, wie die Brünette der anderen voller Wut einen gewaltigen Fausthieb versetzte, der einem Boxweltmeister Ehre gemacht hätte.

»Prima,jetzt geht‘s erst richtig los«, dachte ich. Aber ich wurde bitter enttäuscht, Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte und nach unten sah, hatte sich der Sturm bereits gelegt. Die schöne Brünette, die wohl den Sieg errungen hatte, rüstete sich in aller Seelenruhe zum Aufbruch, während der Beifall prasselte, den ich mit meinen Darbietungen entfesselt hatte.



Léotard mit seinem Vater im Cirque Napoléon 

Mit den absurdesten Begründungen versuchten exaltierte Frauenzimmer, mich zu einem Rendezvous zu bewegen. Manche erfanden oder engagierten Brüder, Vettern und Onkel, die mit dem Amt des Postillon d‘amour betraut wurden. Andere suchten ihr Ziel zu erreichen, indem sie an meine patriotischen Gefühle appellierten und sich für Toulouser Töchter ausgaben. Wieder andere erbaten zum Schein Auskünfte über angeblich gemeinsame Bekannte. Als ob ich ein Auskunftsbüro eröffnet hätte!

Allen Briefen aber war gemeinsam, daß sie mehr oder weniger wortreich, geziert oder plump, manchmal in abenteuerlicher Orthographie und bemerkenswertem Stil, von unsterblicher Liebe, von Bewunderung für mein artistisches Talent, von glühender Verehrung oder von unbezähmbarer Leidenschaft faselten.

Ach, diese Eitelkeit der galanten Damen! Ihr alberner Stolz läßt es nicht zu, daß sie sich einen Mißerfolg eingestehen und ihn mit Stillschweigen übergehen. Nein, sie versuchen es immer wieder und wieder. Und daraus ergibt sich für sie die Notwendigkeit, stets einen neuen Vorwand für einen weiteren Vorstoß zu erfinden. Und auf diese Weise erleiden sie nicht nur eine Niederlage nach der anderen, sondern sie fügen dem Schmerz über den erlittenen Fehlschlag auch die Dummheit hinzu, sich lächerlich zu machen und zu erniedrigen.

Ziehen Sie aus dieser Analyse Ihre Schlüsse, meine Damen.

Berlinerinnen zum Beispiel haben mir nie Briefe geschrieben. Demnach glaube ich, daß sie es besser verstehen als gewisse Pariserinnen, ihre Begeisterung für sich zu behalten; außerdem hätte die ganze Sache auch ziemliche Schwierigkeiten mit sich gebracht: Ich verstehe ihre Sprache nicht, und sie hätten vielleicht Angst gehabt, in der meinen orthographische Fehler zu machen. Zum Ausgleich dafür haben sie sich andere Mittel und Wege ausgedacht, mir ihre Bewunderung auszudrücken — und das war ebenso lieblich wie lecker:

Abend für Abend war meine Garderobe mit den herrlichsten Blumengebinden und mit Näschereien aller Art angefüllt.

Wenn mich heute jemand fragen sollte, welcher der beiden Arten ich den Vorzug gebe, also da würde ich — auf die Gefahr hin, eine allgemeine Empörung auszulösen — glatt antworten: Briefe bleiben, das stimmt schon — aber Konfekt kann man essen... - Jules Léotard, in: Salto. 99 Luftsprünge, Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin 2001 (Wagenbach, Salto 100, Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)

Luft Cirkus-Nummer

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