»In ihrem Schlafzimmer.«
Das Zimmer war eine Art Salon, jedenfalls das, was man einmal unter einem Salon verstanden hatte. Dennoch war alles hier so unwirklich, daß man nicht wußte, wie man dieses Zimmer hätte beschreiben sollen. Eine Wohnung, in der alles für eine Auktion vorbereitet ist und alle Möbel dort stehen, wo sie eigentlich nicht hingehören, mag solchen Anblick bieten.
Überall standen Flaschen herum, und Maigret sah sofort, daß es nur Rotweinflaschen waren. Literflaschen mit gewöhnlichem Rotwein, wie ihn die Straßenarbeiter an ihren Arbeitsplätzen gleich aus der Flasche trinken und wozu sie dann eine Wurst verzehren. Auch Wurststücke lagen herum, nicht auf einem Teller, sondern auf fettigem Papier, ebenso Reste eines Huhns, dessen Knochen auf dem Teppich verstreut waren.
Der Teppich war sehr abgenutzt und unglaublich schmutzig, wie überhaupt alles in diesem Raum. Einem Stuhl fehlte ein Bein, aus einem Sessel quoll die Roßhaarfülhmg heraus, und der pergamentene Lampenschirm, der durch die lange Benutzung schon ganz bräunlich geworden, war völlig krumm und schief.
In dem Schlafzimmer nebenan lag auf einem
nicht bezogenen Bett, das schon seit mehreren Tagen
nicht gemacht zu sein schien, eine Leiche, die
bis zur Hälfte nackt war: genau bis zur Hälfte, denn der Oberkörper war
mit einer Nachtjacke bekleidet, während von der Taille bis zu den Füßen
das nackte, aufgeblähte, häßlich weiße Fleisch
zu sehen war. - Georges Simenon, Maigret und die Tänzerin Arlette.
München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 4, zuerst 1950)
-
Hans Magnus Enzensberger, Die falschen Fünfziger. Eine westdeutsche Reminiszenz.
NZZ
vom 16.Juni 2007
Luft,
abgestandene (3) Die Straßen winden sich um die frisch wiederaufgebaute Kirche
herum, und um nicht den Berg herunterzurutschen, scheinen sich daran kurze und
enge Straßen festzuklammern, die nach zwei oder drei Windungen plötzlich vor
einem blendenden Himmel enden, vor einem um tausend Ellen über die dünne Strandlinie
angestiegenen Meer, vor einer endlosen Kaskade aus Gärten, von denen jedoch
kein Duft herüberweht, da das Dorf
in den Gestank der niedrigen und gedrängten Ställe
eingehüllt ist, in die kein Wind sich je einen Weg zu bahnen vermag. Eine ungeheuer
große Uhr bürdet sich alle Viertelstunde lärmend das Gewicht der Zeit auf, und
die große Glocke, die an Sonnentagen beim Läuten den eigenen .Schatten aus dem
Glockenturm hinauswirft, bewegt heftig die wenigen einsamen Nippsachen im Innern
der Häuser. - Vitaliano Brancati, Sebastiana. In:
V.B., Der Alte mit den Stiefeln. Zürich 1991 (zuerst 1946)
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