üneburger
Heide Die ersten beiden Tage verliefen unter Kopfschmerzen wie immer
in der Heideluft; dann gewöhnten wir uns ein. Außer wenn wir ins Dorf gingen,
um einzukaufen, sahen wir kaum einen Menschen. Die nächste Behausung lag allerdings
nicht sehr weit entfernt, eine völlig verwahrloste Kate. Die Leute, die dort
wohnten, hatten einen schlechten Ruf; man erzählte, daß der Mann sich an seiner
Tochter vergangen und deshalb im Zuchthaus gesessen habe. Sämtliche Kinder waren
wegen Prostitution und Diebstahl in Erziehungsanstalten interniert. Nach der
Katastrophe wurde die eine Tochter für etliche Tage nach Hause gelassen. Man
hörte sie wie ein Tier in der Heide singen, wenn sie einen Mann in der Nähe
witterte. Die Mutter stand abends manchmal einen Augenblick an unserer Gartenpforte,
wenn sie zum Grasschneiden ging. Mit der schrillen Stimme einer Irren rief sie
uns dann etwas zu, was wir nur halb begriffen. Einmal schenkte sie uns eine
Gurke, wir wußten nicht warum. Vor einen Blockwagen gespannt, wartete ihr großer
schwarzer Hund und betrachtete uns aufmerksam. Nachts bellte er uns oft aus
dem Schlaf. Während der Zeit des Grasschneidens ließ die Frau ihre beiden Zicklein
frei umherlaufen; eines davon verirrte sich immer in unseren Garten und schrie
wie ein Kind. Einmal trat auch ein Bock in Erscheinung
von erschreckend vorweltlicher Größe. - Hans Erich Nossack, Der Untergang.
Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1948)