Lügengeschichten  Der Bernstein gibt mir Veranlassung, die Lügenhaftigkeit der Griechen in ihren Mitteilungen zu zeigen. Ich bitte daher die Leser, mir bei der Erzählung über den Ursprung desselben ihre Aufmerksamkeit zu schenken, denn auch dies interessiert den Menschen, und wir mögen erfahren, was alles jene Griechen Wunderbares davon berichtet haben. Ihre meisten Dichter und unter diesen zuerst, wie ich glaube, Aeschylus, Philoxenus, Nicander, Euripides, Satyrus, sagen nämlich, die Schwestern des vom Blitz erschlagenen Phaethon seien durch vieles Weinen in Pappelbäume verwandelt worden, und aus ihren Tränen flössen noch alle Jahre neben dem Flusse Eridanus, den wir Padus nennen, der Bernstein, welcher deshalb Electrum heiße, weil die Sonne den Namen Elector führe. Die Unrichtigkeit dieser Angabe ergibt sich aus dem Zeugnisse Italiens selbst. Genauere griechische Schriftsteller behaupten, im adriatisehen Meere lagen die elektridischen Inseln, wohin sich der Padus ergieße. Nun weiß man aber, daß Inseln dieses Namens dort nie existiert haben, daß dort auch gar keine Inseln sind, welchen der Padus etwas zuführen könnte. Daß ferner Aeschylus sagt, der Eridanus sei in Iberien, d. h. in Spanien, und werde auch Rhodanus genannt, daß hingegen Euripides und Apollonius1 den Rhodanus und Padus an der Küste des adriatischen Meeres sich vereinigen lassen, beweist nur, wie unwissend diese Autoren in der Kenntnis der Erde waren, und macht es um so verzeihlicher, daß sie vom Bernstein nichts wußten. Andere sind bescheidener, aber gleichfalls im Irrtum, wenn sie sagen, auf den äußersten unzugänglichen Felsen des adriatischen Meerbusens standen Bäume, welche beim Aufgange des Hundssterns jenes Gummi ausschwitzten. Theophrastus gibt an, er würde in Ligurien gegraben, Chares2, Phaethon sei in der äthiopischen Provinz Hammonien gestorben, dort befinde sich sein Tempel, ein Orakel, und es komme Bernstein dort vor. Nach Philemon ist er ein Fossil, wird in Scythien an zwei Stellen gegraben, heißt, wenn er weiß und wachsfarben ist, Electrum, wenn er aber dunkelgelb ist, Subalternicum. Demostratus5 nennt ihn Lyncurium und laßt ihn aus dem Harne des Luchses entstehen, der vom männlichen Harne sei dunkelgelb und feuerfarben, der vom weiblichen matter und weiß. Andere nennen ihn Langurium und leiten ihn von einem in Italien vorkommenden Tiere namens Languria ab; Zenothemis nennt dieses Tier Langa und versetzt dessen Heimat an den Padus. Sudines bezeichnet einen Baum in Ligurien, Lynca genannt, der den Bernstein liefere, und derselben Ansicht ist Metrodorus. Sotacus meint, er fließe in Britannien aus Felsen, die er Electriden nennt. Pytheas erzählt, die Guttonen, ein deutsches Volk, wohnten an einer Lagune des Ozeans, namens Mentonomon, welche 6000 Stadien groß sei; von dieser liege eine Schiffstagereise entfernt die Insel Abalus, wohin der Bernstein als ein konkreter Abschaum des Meeres im Frühjahre durch die Fluten getrieben werde; die dortigen Bewohner gebrauchten ihn statt Holz zum Brennen und verkauften ihn an die nächstliegenden Teutonen. Dieser Erzählung schenkt auch Timaeus1 Glauben, doch nennt er die Insel Basilia (Balthea). Philemon sagt, der Bernstein brenne nicht mit Flamme. Nicias nennt ihn einen Saft der Sonnenstrahlen; er meint, dieselben drängen beim Untergange heftiger auf die Erde und hinterließen in der dortigen Gegend des Ozeans einen fetten Schweiß, der im Sommer an die deutsche Küste geworfen werde. Auf dieselbe Weise soll er in Ägypten entstehen und dort den Namen Sacal führen; ferner in Indien, und die Indier sollen ihn dem Weihrauch vorziehen. In Syrien sollen sich die Weiber Spindelwirtel davon machen und ihji den Haken nennen, weil er Blätter, Spreu und Kleiderlappen an sich zieht. Nach Theochrestus wird er vom Ozean durch die Flut an die Vorgebirge der Pyrenäen geworfen; Xeno-crates, der jüngst hierüber geschrieben hat, pflichtet ihm bei. Der noch lebende Asarubas1 berichtet, neben dem atlantischen Meere liege der See Cephisis, den die Mauren Electrum nennen; dieser entlasse, wenn er von der Sonne erwärmt werde, aus seinem Schlamme einen flüssigen Bernstein. Mnaseas2 sagt, in Afrika liege der Ort Sicyon, und daneben ströme der Fluß Crathis vorbei, der sich in den Ozean ergieße und aus einem See entspringe, auf welchem Vogel lebten, die er Meleagri-dae und Penelopae nennt; hier entstehe der Bernstein im Frühjahre auf dieselbe Weise wie oben in dem Elec-trum-See. Theomenes5 sagt, neben der großen Syrte liege der Garten der Hesperiden und der Teich Electrum; in diesen falle von den dort stehenden Pappelbäumen der Bernstein herab und werde von den Jungfrauen der Hesperiden gesammelt. Nach Ctesias gibt es in Indien einen Fluß namens Hypobarus, welches Wort anzeigen solle, daß er alles Gute in sich trage; derselbe fließe von Norden her in den östlichen Ozean neben einem bergigen Walde vorbei, dessen Baume Bernstein trügen, und diese Bäume hießen Siptachorae, was so viel wie äußerst angenehme Süßigkeit bedeute. Mithridates4 berichtet, an der deutschen Küste sei eine Insel namens Serita, auf welcher Wälder einer Art Zeder wären, woraus der Bernstein auf Felsen herabfließe. Nach Xeno-crates soll der Bernstein nicht allein in Italien vorkommen, sondern auch daselbst Thyon, bei den Scythen aber, wo er ebenfalls vorkomme, Sacrium heißen. Andere glauben, er erzeuge sich in Numidien. Alles übersteigt aber die Angaben des tragischen Dichters Sophocles, was mich um so mehr wundert, da derselbe sich sonst durch eine so ernste und erhabene Schreibart auszeichnet, außerdem ein so rühmliches Leben führte, aus einem vornehmen atheniensischen Geschlechte stammte, Staatsangelegenheiten leitete und ein Kriegsheer befehligte; er sagt nämlich, der Bernstein fließe hinter Indien aus den Tränen der Vögel des Meleager, die ihren Herrn beweinten. Wer sollte sich nicht darüber wundern, daß er entweder dies geglaubt oder andere dessen überreden zu können gehofft habe? Welcher Knabe kann für so unerfahren gehalten werden, daß er an ein jährliches Weinen der Vögel, an so große Tränen und daran glaube, daß die Vögel aus Griechenland, wo Meleager starb, nach Indien gezogen seien, um zu weinen? Doch wie, erzählen nicht die Dichter noch vieles ebenso Fabelhafte? Daß aber jemand von einer Substanz, welche täglich gefunden wird, im Überflusse vorhanden ist und deshalb Lügen straft, im Ernste dergleichen hat sagen können, zeugt von einer ungeheuern Verachtung der Menschen und unerträglichen Schamlosigkeit im Lügen.

Gewiß ist, daß der Bernstein auf den Inseln des nördlichen Ozeans vorkommt und von den Deutschen Glessum genannt wird; als Caesar Germanicus mit seiner Flotte dort war, bezeichnete er eine dieser Inseln, welche bei den Bewohnern Austravia heißt, mit dem Namen Glessaria. Er fließt aber als ein Mark aus Bäumen von dem Geschlechte der Fichten, gleichwie das Gummi aus den Kirschbäumen und das Harz aus den Fichten, und verdichtet sich durch Kälte, laue Witterung oder durch das Meerwasser. Wenn die Flut ihn auch von der Insel wegnimmt, so wird er doch wenigstens wieder an die Küsten geworfen, denn er läßt sich so leicht fortwälzen, daß er auf dem seichten Grunde zu schweben und zu lagern scheint. Schon unsere Vorfahren hielten den Bernstein für den Saft eines Baumes und nannten ihn aus diesem Grunde Succinum. Daß aber dieser Baum eine Fichtenart ist, beweist sein Geruch beim Reiben und sein Verhalten beim Brennen. Von Germanien aus gelangt er zunächst nach Pannonien und hierauf zu den Venetianern, welche bei den Griechen Eneter heißen. In Ruf brachten ihn die den Pannoniern zunächst liegenden und am adriatischen Meere Handel treibenden Völker, welche ihn von jenen bekamen. Daß aber der Padus mit in das Märchen geflochten ist, hat offenbar keinen andern Grund, als weil noch heute die Bauernweiber jenseits des Padus den Bernstein in Schnüren um den Hals tragen, allerdings zunächst als Schmuck, aber auch als Medikament, denn er soll gegen geschwollene Mandeln und andere Fehler des Halses, die durch den Genuß des dortigen Wassers leicht herbeigeführt werden, gut sein. Jene Küste Deutschlands, von wo er ausgeführt wird, liegt 600 000 Schritte von Carnuntum in Pannonien entfernt und ist erst vor einiger Zeit durch einen römischen Ritter bekannt geworden, welchen Julianus, der ein Fechterspiel für den Kaiser Nero veranstaltete, zum Einkauf von Bernstein dahin sandte. Dieser bereiste die dortigen Handelsplätze und Küsten und brachte so viel davon mit, daß die Netze, welche zur Abhaltung der wilden Tiere von der kaiserlichen Tribüne angebracht waren, in jedem Knoten ein Stück Bernstein enthielten, die Waffen aber, die Totenbahre und der ganze Festapparat eines Tages von Bernstein strotzte. Das größte Stück wog 13 Pfund. Daß auch in Indien Bernstein vorkommt, kann nicht bezweifelt werden. Archelaus, der Cappadocien beherrschte, sagt, er werde von dort im rohen Zustande, an Fichtenrinde hängend, hergebracht und durch Kochen mit dem Schmalze einer säugenden Sau blank gemacht. - (pli)

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