Lucky Jack   Ungeachtet der Verworfenheit auf einem Kriegsschiff finden sich dort manchmal Männer, die so an ein hartes Leben gewöhnt und so auf die Knechtschaft gedrillt und diszipliniert sind, daß sie sich augenscheinlich mit einer unbegreiflichen Philosophie heiter in ihr Schicksal fügen. Sie haben reichlich zu essen, Schnaps zu trinken, Kleidung, um sich warm zu halten, eine Hängematte, darin zu schlafen, Tabak zu kauen, einen Arzt, sie zu kurieren, einen Pfarrer, für sie zu beten. Muß das alles einem pfenniglosen Ausgestoßenen nicht wie eine reichhaltige Speisekarte vorkommen?

An Bord der „Neversink" befand sich ein Vortoppmann namens Landless, der, obgleich sein Rücken gekreuzt und kariert war von den unauslöschlichen Schrammen all der Auspeitschungen, wie sie eine unbekümmerte Teerjacke während eines zehnjährigen Dienstes m der Flotte gesammelt hat, trotzdem stets eine heitere Miene zur Schau trug und zu Scherzen aufgelegt und schlagfertig war wie Joe Miller.

Dieser Mann war zwar ein Seevagabund, aber er war nicht umsonst geschaffen. Er genoß das Leben mit dem Eifer dauernder Jugend, und obgleich er in einen Eichenkerker eingepfercht war mit den Wachen als Gefängniswärter rings um ihn her, ging er doch über das Batteriedeck, als wäre es so breit wie eine Prärie und landschaftlich abwechslungsreich wie die Berge und Täler in Tirol. Nichts vermochte Ihn zu stören, nichts konnte sein Lachen in so etwas wie einen Seufzer verwandeln. Jene Drüsenausscheidungen, die bei anderen Gefangenen bisweilen die Form von Tränen annehmen, wurden von ihm durch den Mund abgesondert, gefärbt von dem goldenen Saft eines Krautes, womit er sich über seine schimpflichen Tage tröstete und erheiterte.

„Rum und Tabak", sagte Landless, „was braucht ein Seemann mehr?"

Sein Lieblingslied war Dlbdins „Wahrer englischer Seemann", der folgendermaßen beginnt:

Jack tanzt und singt und ist stets guten Muts,
Seinem Mädel in Treue ergeben,
Den Anker gehievt, wenn die Taschen leer,
So ist das Seemannsleben.

Aber der arme Landless tanzte ebensooft am Fallreep unter der Peitsche wie in den Seemannskneipen an Land.

In einem anderen seiner Lieder, ebenfalls nach der ausdrucksvollen Melodie von „Der König, Gott segne ihn!", gab es unter vielen ähnlichen die folgenden Zellen:

Gehen wir dann In 'York oder Boston an Land,
Wie werde ich tanzen und zechen
Und leeren mein Glas, solang das Geld noch reicht
Auf unsrer Fregatte erfolgreichen Fahrten.

Während der vielen müßigen Stunden, als unsere Fregatte im Hafen lag, war dieser Mann entweder vergnügt beim Damespiel oder besserte seine Kleider aus, oder er lag schnarchend wie ein Trompeter im Lee der Spieren. War er fest eingeschlafen, so vermochte ihn ein Staatssalut unserer Batterien kaum zu wecken. Ob er nun In einem Sturm zum Großmastflaggenknopf hinaufgeschickt oder von der Trommel zum Grogfaß gerufen wurde, ob man ihn zu den Grätings zum Auspeitschen befahl, Landless gehorchte stets mit demselben unerschütterlichen Gleichmut.

Sein Rat an einen jungen Burschen, der mit uns in Valparaiso angeheuert wurde, verkörperte Mark und Seele jener Philosophie, die es manchen Kriegsschiffmännern ermöglicht, im Dienst guten Mutes zu sein.

„Schippy", sagte Landless und packte den blassen Jungen am Halstuch, als hielte er ihn am Halfter. „Schippy, ich hab bei Onkel Sam Dienst getan und bin auf manchem ,Andrew Miller' gefahren. Nun nimm meinen guten Rat an und Steuer klar von allen Klippen. Hör zu! Immer Hand am Deckel, wenn 'n Swob - ein Offizier - dich anspricht. Und mach dir nichts draus, wie oft sie dich mit 'm Tauende traktieren, halt deine Zunge beschlagen, denn das mußt du wissen, Seeanwälte gibt's nicht; und wenn dir von den Polypen eine Tracht ausgeteilt wird, dann halt dich steif. Das Ist nur ein ,O Gott!' oder zwei und ein paarmal ,Du mein Gott!', mehr nicht. Und was dann? Nun, in ein paar Nächten schläfst du's wieder weg und stehst am Ende auf, bereit für deinen Grog."

Dieser Landless war bei den Offizieren beliebt, bei denen er den Namen „Glücks-Jack" führte. Und ebensolche Glücks-Jacks, wie Landless einer war, werden von den meisten Seeoffizieren, wie diese selbst bekennen, geschätzt, Kerle ohne Schamgefühl, ohne Seele, so tot für die letzte Menschenwürde, daß man sie kaum Männer nennen kann. Wogegen ein Seemann, der Züge von moralischem Feingefühl erkennen läßt, dessen Verhalten innere Würde verrät, ein Mensch ist, gegen den sie in vielen Fällen eine unwillkürliche Abneigung empfinden.  - (weiss)

 

Glückspilz

 

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