oseblatt-Sammlung
Es gelang mir nach und nach, im Verlauf von drei oder vier Jahren — so lange
und noch länger unterrichtete mich das Gretchen Scheffler — über die Hälfte
der Buchseiten aus dem Rasputin herauszutrennen, vorsichtig, dabei Mutwillen
vortäuschend, zu zerknüllen, um dann hinterher, zu Hause, in meiner Trommlerecke,
die Blätter unter dem Pullover hervorzuziehen, sie geglättet und gestapelt zur
heimlichen, von Frauen ungestörten Lektüre zu verwenden. Ähnlich verfuhr ich
mit dem Goethe, den ich anläßlich jeder vierten Unterrichtsstunde, »Döte« rufend,
dem Gretchen abforderte. Allein auf Rasputin wollte ich mich nicht verlassen,
denn allzubald wurde mir klar, daß auf dieser Welt jedem Rasputin ein Goethe
gegenübersteht, daß Rasputin Goethe oder der Goethe einen Rasputin nach sich
zieht, sogar erschafft, wenn es sein muß, um ihn hinterher verurteilen zu können.
Wenn Oskar mit seinem ungebundenen Buch auf dem Dachboden oder im Schuppen
des alten Herrn Heilandt hinter Fahrradgestellen hockte und die losen Blätter
der Wahlverwandtschaften mit einem Bündel Rasputin mischte, wie man Karten mischt,
las er das neu entstandene Buch mit wachsendem, aber gleichwohl lächelndem Erstaunen,
sah Ottilie züchtig an Rasputins Arm durch mitteldeutsche Gärten wandeln und
Goethe mit einer ausschweifend adligen Olga im Schlitten sitzend durchs winterliche
Petersburg von Orgie zu Orgie schlittern. - Günter Grass, Die Blechtrommel.
Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1958)
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