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grand
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Löwin (2) Sie kam zu mir wie ein Kind zu seiner Mutter. Sie gab mir allerlei Kosenamen, und oft nahm sie meine Finger und spielte mit ihnen und sagte, ich hätte die schönsten Hände von der Welt, sie seien nur dazu geschaffen, Diamanten anzufassen. Da wir uns in Venedig kennengelernt hatten und da ich mit Vornamen Markus heiße, sagte sie von sich, sie sei meine Löwin. Das war das richtige Wort für sie: eine geflügelte Löwin. Und ich war der einzige Mensch, der sie kannte.
In ihrem Leben hat es zwei große verzehrende Leidenschaften gegeben, von denen ihr stolzes Herz sich genährt hat.
Die eine war ihre Leidenschaft für den großen Sopran, Pellegrina Leoni geheißen. Es war eine eifrige, eine schrecklich eifersüchtige Liebe wie die eures Priesters zum wundertätigen Bilde der Jungfrau oder die einer Frau zu ihrem Gatten, der zugleich ein Held ist, oder die Liebe des Diamantenschleifers zum allerreinsten Stein. In dieser Leidenschaft kannte sie keine Nachsicht, keinen Unterlaß. Sie gab keinen Pardon und verlangte auch keinen. Im Dienst der Pellegrina schuftete sie wie ein Sklave unter der Peitsche, bis zu bitteren Tränen, bis zum Erliegen, wenn es von ihr verlangt wurde.
Zu den anderen weiblichen Kräften an der Oper war sie wie ein Satan, denn
natürlich gierte sie um Pellegrinas willen nach allen Rollen. Es konnte sie
empören, daß sie nicht in derselben Oper zwei Rollen singen konnte. Man nannte
sie allgemein die Luzifera; mehr als einmal ohrfeigte sie eine Konkurrentin
auf offener Szene, und ihre Partnerinnen, ob alt oder jung, waren immer dem
Weinen nah. Übrigens wachte sie nicht nur, was die Stimme betraf, so eifersüchtig
über Pellegrina Leonis Ansprüche, sondern Pellegrina sollte auch gleichermaßen
die schönste, die eleganteste, die modischste von allen Frauen sein, und in
dieser Hinsicht war sie schon geradezu lächerlich in ihrer Eitelkeit. Auf der
Bühne trug sie grundsätzlich nur echten Schmuck und die allerkostbarsten Kostüme.
In der Rolle der Agatha, eines Bauernmädcbens, trat sie diamantenbesät und mit
drei Schritt langer Schleppe auf. Sie trank nur Wasser, aus Furcht, Pellegrinas
Teint zu verderben, und vor Mittag hätten Fürstlichkeiten und Kardinale oder
gar der Papst in eigener Person sie besuchen kommen können, sie hätte sie unweigerlich
mit Lockenwickeln im Haar und das Gesicht mit Zinksalbe eingeschmiert empfangen,
damit es ihr am Abend nicht mißlinge, alle anderen Frauen auszustechen. -
(
blix
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Löwin (3) Traum von einer Löwin Die
Vorführende, offenbar Tierbändigerin, mit einem Löwen auf der Straße
[der Löwe aufrecht, nicht größer als sie]; ich stelle die Frage an mich,
nachdem ich längere Zeit die Sache erwogen [denn der Löwe war
wunderbar, wenn auch alle Leute ihm ängstlich auswichen]: Kann nicht
auch ich näher mit ihm zu tun haben, ihn liebkosen? Was könnte er denn
mir tun, wenn ich ohne die geringste Ängstlichkeit, in reiner Absicht,
mit voller Freundlichkeit mich an ihn heranmache? Sie sagte mir einfach,
ich solle ihn auf die Arme nehmen. Dies tat ich, ich streichelte ihn,
und schon folgte er mir wunderbar.
Wie nun die Beziehung sich entwickelte und was wir zusammen redeten, ist
mir schon nicht mehr genügend deutlich; nur die Fragen, die
Überlegungen, die daraus hervorgingen: dies ist aber offenbar, neben der
Tatsache, daß die Beziehung sich festigte, das Wichtige, der
eigentliche Inhalt des Traumes selbst:
Obgleich du eine Löwin bist [es war nämlich eine Löwin], warum
solltest du nicht, wenn du unter Menschen findest, was dich liebt und
was du liebst, diesen Menschen als Partner nehmen? Wenn ich auch ein
Mensch bin, unter Menschen aber offenbar eine Partnerin nicht finden
kann, wohl aber eine Löwin finde, die ich liebe und die mich liebt,
warum soll ich nicht sie als Partnerin nehmen?
Wird nicht die Liebe über alles hinwegtragen, was trennen oder stören
könnte? [Ist sie nicht mächtiger als alles und wird daher einen Weg
bahnen?] Wenn ich einmal, allmählich vielleicht, mich doch nach der
Glattheit der Schenkel sehnen könnte, nach einem menschlichen Mund, und
wenn du einmal, allmählich vielleicht, doch vergessen könntest, daß du
Pranken mit Krallen hast und ich kein hartes Fell, sondern eine
verletzbare Haut; wenn du einmal vergessen könntest, die Krallen
einzuziehn und die Pranken völlig weich werden zu lassen, - ist nicht
die Liebe mächtiger als ...
Und da kam es ganz schnell — dies war es doch, dies mußte es doch
sein —: Uneinschränkbar groß ist in all unserem Dasein nur eins: die
Liebe, die sich als mächtiger erweist als der Tod.
»Als der Tod«: das heißt auch, als alle Bedingungen des Lebens. -
Ludwig Hohl, nach
(arc)
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