Literaturstudium Wenn er mitunter nicht einmal ein Zehntel der Sätze verstand, die ein Professor sagte, errötete er bis über die Ohren und mußte den Hörsaal verlassen. Er suchte überall nach einem Buch, das ihm erklärt hätte, wovon die Bücher und die Professoren sprechen.

Eines Tages lernte er vier Studenten aus Neapel kennen und es fiel ihm sofort auf, daß diese dank ihrer langen Erfahrung als verkrachte Studenten und uralte Semester es so weit gebracht hatten, sich eine eigene Meinung über das Geschehen in den Hörsälen zu bilden. Unserem Studenten war es noch nicht gelungen, ein Buch zu finden, das ihm erklärt hätte, wovon die Bücher und die Professoren sprechen, und daher wandte er sich an die vier Studenten aus Neapel, die sehr gerne bereit waren, ihm ihre Ansichten über dieses Thema zu unterbreiten.

Sie sagten zu ihm, jeder Dozent, der in einem Hörsaal stehe, tue sich nur groß damit, die Bücher, die er gelesen habe, auch bestens verstanden zu haben, und die Studenten brauchten nichts anderes zu tun, als dasselbe zu lernen.

Da begann unser Student alle Professoren aufmerksam zu beobachten, und zuletzt erschien ihm diese Erklärung glaubwürdig. Also ging er ans Werk und versuchte zu lernen, wie seine Lehrer zu sprechen und sich wie sie in Pose zu setzen, so daß er sich dann auch damit großtun könnte, die im Studienplan vorgesehenen Bücher bestens verstanden zu haben, und imstande wäre, einige Prüfungen abzulegen.

Anfänglich erschien ihm die Sache nicht so einfach wegen der vielen Bücher, die er laut Studienplan hätte lesen sollen; aber da kamen ihm wieder die vier Studenten aus Neapel zu Hilfe und erklärten ihm, wie man das macht. Sie erklärten ihm, man brauche aus einem Buch nur einige markante Sätze herauszufischen, so daß man imstande sei, eine Idee mit einer anderen zu vergleichen und so zu zeigen, daß man alles verstanden habe. Ihrer Meinung nach brauchte man aber sogar diese Sätze nicht aus dem Buch selbst herausfischen, sondern einfach aus der Einleitung, die erkläre ja, wovon das Buch handle, und das sei die beste Methode.   - Gianni Celati, Der wahre Schein. Berlin o. J. (zuerst 1987)

Literaturstudium (2) Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaften führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer - für die begabtesten Studenten - zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften. Wir haben es hier im Grunde mit einem recht ulkigen System zu tun, das kein anderes Ziel hat, als sich selbst zu erhalten; die über 95 Prozent Ausschuss nimmt man in Kauf. Nun schaden solche Studien aber auch nicht und können sogar einen geringfügigen Nutzen abwerfen. Ein junges Mädchen, das sich als Verkäuferin bei Celine oder Hermès bewirbt, muss selbstverständlich und in allererster Linie gepflegt auftreten; ein Abschluss in Literaturwissenschaften kann ein zusätzlicher Pluspunkt sein, dem Arbeitgeber wird eine gewisse mentale Beweglichkeit garantiert, die die Möglichkeit weiterer Karriereschritte nicht ausschließt, wo ansonsten keine brauchbaren Kompetenzen vorhanden sind - außerdem ist die Literatur in der Industrie der Luxusgüter seit jeher positiv konnotiert.   - Michel Houellebecq, Die Unterwerfung. Köln 2015
 
 

Literatur Studium

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme