iterat  Von den eigentlichen Gelehrten sind noch die Literaten (Studierte) zu unterscheiden, die, als Instrumente der Regierung, von dieser zu ihrem eigenen Zweck (nicht eben zum Besten der Wissenschaften) mit einem Amte bekleidet, zwar auf der Universität ihre Schule gemacht haben müssen, allenfalls aber vieles davon (was die Theorie betrifft) auch können vergessen haben, wenn ihnen nur so viel, als zu Führung eines bürgerlichen Amts, das, seinen Grundlehren nach, nur von Gelehrten ausgehen kann, erforderlich ist, nämlich empirische Kenntnis der Statuten ihres Amts (was also die Praxis angeht) übrig behalten haben; die man also Geschäftsleute oder Werkkundige der Gelehrsamkeit nennen kann. Diese, weil sie als Werkzeuge der Regierung (Geistliche, Justizbeamte und Ärzte) aufs Publikum gesetzlichen Einfluß haben, und eine besondere Klasse von Literaten ausmachen, die nicht frei sind, aus eigener Weisheit, sondern nur unter der Zensur der Fakultäten, von der Gelehrsamkeit öffentlichen Gebrauch zu machen, müssen, weil sie sich unmittelbar ans Volk wenden, welches aus Idioten besteht (wie etwa der Klerus an die Laiker), in ihrem Fache aber zwar nicht die gesetzgebende doch zum Teil die ausübende Gewalt haben, von der Regierung sehr in Ordnung gehalten werden, damit sie sich nicht über die richtende, welche den Fakultäten zukommt, wegsetzen.  - Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten (1798)

Literat (2) Die Muße ist es, der ich es teilweise verdanke, groß geworden zu sein.

Sehr zu meinem Nachteil; denn Muße ohne Vermögen vermehrt die Schulden und die mißlichen Folgen der Schulden.

Zu meinem großen Nutzen jedoch, was die Empfindsamkeit, die beschauliche Betrachtung und die Eignung zum Dandytum und zum Dilettantismus betrifft.

Die übrigen Literaten sind zum größten Teil gemeine und ganz unwissende Holzhacker. - (cb)

Literat (3) Die Trunksucht bei Literaten ist eine der am häufigsten vorkommenden und bedauernswertesten Erscheinungen des modernen Lebens; aber vielleicht gibt es dabei doch mildernde Umstände. Zur Zeit eines Saint-Amant, eines Chapelle und eines Colletet besoffen sich die Literaten auch, doch war es ein fröhlicher Suff, in Gesellschaft der Edlen und Großen, die selbst in der Literatur gut bewandert waren und die Schenke nicht fürchteten. Ja selbst so manche Dame und so manches Fräulein erröteten nicht gleich, weil sie dem Weine gerne zusprachen, wie die Geschichte von jener Dame beweist, die von ihrer Dientsmagd in Gesellschaft Chapelles angetroffen wurde, wobei beide nach dem Souper heiße Tränen um Pindar vergossen, den armen, der durch die Schuld unwissender Ärzte hätte sterben müssen. Im achtzehnten Jahrhundert setzt sich der Brauch fort, er ändert sich jedoch ein wenig. Die Schule Retifs trinkt, doch ist sie bereits eine Schule von Parias, eine unterirdische Welt. In seinem hohen Alter wurde Mercier in der Rue du Coq-Honoré angetroffen; Napoleon war am Himmel des achtzehnten Jahrhunderts aufgestiegen, Mercier, ein wenig angeheitert, sagte, er lebe nur noch aus Neugierde. Heute hat das Trinken in der Literatur einen unheilvollen und verderblichen Charakter angenommen. Es gibt keine besondere Klasse von literarisch Gebildeten mehr, die sich daraus eine Ehre machte, mit Literaten freundschaftlich zu verkehren. Diese selbst hindert ihre Arbeit, die sie voll und ganz in Anspruch nimmt, und der Haß zwischen den einzelnen Schulen an geselligen Zusammenkünften.

Und was die Frauen betrifft, so hindert deren unvollständige Erziehung, ihre politische und literarische Unmaßgeblichkeit viele Schriftsteller, in ihnen mehr als ein Haushaltungsgerät oder einen Luxusgegenstand zu sehen. Einmal die Mahlzeit eingenommen und das Animalische befriedigt, tritt der Dichter in die endlose Einsamkeit des Geistes, manchmal ist er seines Berufes müde. Was beginnen? So gewöhnt sich eben sein Geist an die Idee, seine Kraft sei unbesiegbar, und er kann nicht mehr der Hoffnung widerstehen, im Trinken die ruhigen oder erschreckenden Gesichter - seine alten Bekannten - wiederzufinden. - (cb)

Literat (4)   Gemäß seinem Grundkonzept, daß der Literat abseits steht und mit Schustern, Tischlern und Maurern nichts zu schaffen hat, unterteilt Pujati dessen Beschäftigung in heitere und ernste Studien: Besser für die Gesundheit sind natürlich die ersteren, die »reich an Phantasie sind, in denen der Geist frei schweift und sich nicht festbohrt«. Gemeint sind Poesie und Redekunst. Dagegen »ruinieren den Menschen, selbst den von starkem Temperament, das Meditieren und Räsonnieren, welche zu Recht die ernsten Studien genannt werden«. Die Gefahren, denen man sich durch diese ernsten Studien aussetzt, sind schrecklich: »Und siehe da, am Ende bricht ihr armes, wiewohl so fein und gut konstruiertes Gehirn zusammen, und wenn der Schlagfluß sie verschont, dann leiden doch Gedächtnis und Verstand, sie verdummen und verblöden.«   - Giuseppe Antonio Pujati, Über die Bewahrung der Gesundheit der Literaten und der gelehrten und sitzenden Leute, 1768, nach (scia)

Literat (5)

  - Gustav Sack, nach: Kurt Böttcher, Johannes Mittenzwei: Zwiegespräch. Deutschsprachige Schriftsteller als Maler und Zeichner. Leipzig 1980

Literat (4)  Das gesamte Werk Voltaires erfolgte auf Bestellung, im nichtkommerziellen Sinn des Wortes; wie die Pfadfinder ist er »allzeit bereit«, allzeit bereit zu einem Gegenstoß, den man bei ihm nach Belieben und mit größter Sicherheit auslösen kann, bereit, auf Ereignisse, Begegnungen und Vorfälle verschiedenster Art zu reagieren (doch die einzige, wirklich notwendige Literatur ist immer eine Antwort auf Fragen, die noch nicht gestellt worden sind). Das Tabu, das von allen, die eine mehr oder weniger gefeierte Feder führen, über Rousseau verhängt wird, von Grimm bis Diderot und Voltaire, liegt nicht so sehr an seinem plebejischen Stolz, an seinem heruntergekommenen Aufzug eines Donaubauern, an seinem Gerede von der Tugend, an semer Sucht, Belehrungen zu erteilen: es ist vor allem der Ausbruch von Literaten gegen einen Einzelgänger (der er übrigens gar nicht so sehr war), von Literaten, die sich zanken, bewundern, ereifern, verachten, betrügen, verleumden, aussöhnen und zugleich, was immer sie auch sagen oder tun, darin solidarisch sind, daß sie in der Meute jagen, toben, beißen, kläffen wie auch leben und es sich gar nicht vorstellen können, anders zu leben als in diesem Bad elektrisierender Reibungen. - (grac)

Literat (5)   Sueton und Juvenal zufolge, zwei Meistern des Klatsches, wurden die Spiele, die in Lyon (Lugudunum) am Altar des Augustus stattfanden, von Caligula begründet oder wiederbegründet. Wenn die Spiele zu Ende waren, erhielten die Sieger des Rednerwettstreits die Preise, die die Besiegten beschaffen und den Siegern selbst überreichen mußten. Als sei das noch nicht genug, mußten die Besiegten die Sieger lobpreisen. Wenn unter den vorgelegten Werken einige des Wettstreits für unwürdig befunden wurden, mußten die Autoren sie zuerst mit der Zunge auslöschen, dann wurden sie ausgepeitscht und in die Rhône getaucht. - Alberto Savinio, Neue Enzyklopädie. Frankfurt am Main  1986

Literat (6)  Der Belletrist Beskudnikow, ein stiller, sehr ordentlich gekleideter Mann mit aufmerksamen Augen, die einen jedoch nie recht ansahen, zog die Uhr. Der Zeiger kroch gegen elf. Beskudnikow klopfte mit dem Finger auf das Zifferblatt und wies es seinem Nachbarn, dem Lyriker Dwubratski, der auf dem Tisch hockte und vor Langerweile mit den Füßen baumelte, die in gelben Schuhen mit Gummisohle steckten.

»Allerhand«, knurrte Dwubratski.

»Der Kerl ist bestimmt an der Kljasma hängengeblieben«, sagte mit tiefer Stimme Nastassja Lukinischna Nepremenowa, eine Moskauer Kaufmannswaise, die Schriftstellerin geworden war und unter dem Pseudonym »Steuermann George« Erzählungen über Seeschlachten schrieb.

»Unerhört!« sagte kühn Sagriwow, Autor von populären Sketchen. »Ich würde mich auch gerne auf den Balkon setzen und Tee trinken, statt hier zu schmoren. Die Sitzung sollte doch um zehn anfangen?«

»Schön ist es jetzt an der Kljasma«, hetzte Steuermann George die Anwesenden auf, denn sie wußte wohl, daß die Datschensiedlung der Literaten, Perelygino an der Kljasma, der allgemeine wunde Punkt war. »Gewiß singen schon die Nachtigallen. Ich kann da draußen am besten arbeiten, besonders im Frühling.«

»Schon seit drei Jahren zahle ich Beiträge, um meine basedowkranke Frau in dieses Paradies zu schicken, aber noch zeigt sich kein Lichtstreif am Horizont«, sagte der Novellist leronim Poprichin giftig und bitter.

»Ja, da muß man schon Schwein haben«, brummte der Kritiker Ababkow vom Fensterbrett.

Freude leuchtete in den kleinen Augen des Steuermanns George, und sie sagte mit weichem Alt:

»Genossen, man muß nicht neidisch sein. Es gibt ja dort nur zweiundzwanzig Datschen, und sieben werden noch gebaut, und unsere MASSOLIT hat dreitausend Mitglieder.«

»Dreitausendeinhundertelf«, warf jemand aus der Ecke ein.

»Na sehen Sie«, fuhr der Steuermann fort, »was soll man da machen? Es ist doch ganz natürlich, daß die Datschen den talentiertesten von uns zugeteilt wurden . . .«

»Den Generalen!« stieß der Szenarist Glucharjow ohne Umschweife in den Zank hinein.

Beskudnikow gähnte gekünstelt und verließ das Zimmer.

»Der hat alleine fünf Zimmer in Perelygino«, sagte Glucharjow ihm hinterher.

»Lawrowitsch hat alleine sechs«, schrie Deniskin, »und sein Eßzimmer ist mit Eiche getäfelt!«  - (meist)

Gelehrte Leben, literarisches
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