iebestunnel  Kurz vor dem eigentlichen Liebestunnel der Geisterbahn griff ich mit meinen heißen, packsüchtigen Händen nach dem Plastiklenkrad, wie es im Bug jedes Bötleins an einem wackeligen Eisenrohr befestigt ist. Da alle Schiffe in derselben Schienenführung laufen, ist es funktionslos, dreht sich leer, ohne den Kurs des Kahnes beeinflussen zu können. Ich kurbelte aus wildem Jux, bloß um die Kraft meiner erhitzten Hände an einem Widerstand zu spüren, bis an den rechten und den linken Anschlag, wo das schwergängige Zahnrad an eine Arretierung gongte. So steuernd oder nur das Steuern spielend, fuhr ich ein in den Liebestunnel, und einer meiner Suckokameraden sagte später aus, ich hätte, vor ihnen in das Halbrund der Grotte schaukelnd, jenes bekannte Kinderlied gesungen, in dem ein kleines Hänschen, wohlausgerüstet und mit gutem Mut, in eine weite Welt marschiert.

Das Umkippen des Bootes, das Kentern meines Kahns im Liebestunnel, wurde in Ursache und Ablauf nie geklärt. Der Polizei und dem Gericht genügte, daß ich Sucko zu mir genommen hatte. Man unterstellte mir, daß ich zuvor schon unter Suckoeinfluß Auto gefahren sei, man hätte mir, wenn meine Anwältin weniger ausgefuchst gewesen wäre, vielleicht noch Schlimmeres angehängt. Die Froschmänner der Feuerwehr, die mich aus dem Tunnel geborgen hatten, gaben an, sie hätten mich, bewegungslos und ohne einen Laut von mir zu geben, am Rumpf des umgeschlagenen Boots vorgefunden. Die rechte Hand, die, doppelt gebrochen, in einem Segment des von drei Speichen unterteilten Lenkrads klemmte, habe mich so tief in den hüfthohen Teich gezogen, daß mir schon beim geringsten Wellengang das Schlucken von Wasser und das Ertrinken drohten.  

Zu dieser Aussage, aus der man folgern muß, daß ich zu völliger Bewegungslosigkeit verdammt war und um jeden Atemzug bangte, steht in gewissem Widerspruch, daß ich, unmittelbar nach dem Kentern des Kahns, mit kreischender Stimme um Hilfe gerufen haben soll. Auf dieses sich im Liebestunnel dröhnend überschlagende Geschrei war einer meiner Kumpel aus dem anderen gemächlich in die Grotte einschunkelnden Boot gesprungen, um mir, durchs finstere Wasser vorwärtsstürzend, so rasch wie möglich beizustehen. Er wurde dann das eigentliche Opfer meines Unfalls. Die Gutachten eines technischen und eines medizinischen Experten wiesen, meine Richter überzeugend, nach, daß er, im Dunkeln unter schwach strahlenden Herzen meinen umgekippten Kahn um watend, von der ganz leis und widerstandslos schnell drehenden Schraube des elektrischen Bootsmotors getroffen wurde, und zwar so unselig präzis an seinem linken Schläfenbein, daß er, vielleicht mit einem Seufzen, vielleicht stumm, ins flache Wasser sank und nah bei mir ertrank. - Georg Klein, Barbar Rosa. Berlin 2001