Liebestrank   Als sie während der Fahrt in der Kajüte saßen, verspürten sie beide großen Durst und sahen ein kleines goldenes Fläschchen stehen, das nach Farbe und Duft edlen Wein zu enthalten schien. Da nahm Sir Tristan das Fläschchen und sagte: Lady Isolde, hier ist der beste Trank, den Ihr je genossen habt. Lady Bragwaine und Gouvernail haben ihn für sich aufbewahrt. Und sie lachten und waren fröhlich und tranken einander herzlich zu und meinten, daß nie ein Trank, den sie zusammen genommen hatten, so süß und so gut gemundet hätte. Aber kaum war der Trank in ihrem Körper, liebten sie einander heiß, daß ihre Liebe in Wohl und Weh nie mehr aufhörte. So begann die Liebe zwischen Sir Tristan und Isolde, die bis an das Ende ihrer Tage währte. Sie segelten dahin, bis sie in die Nähe einer Burg kamen, die Pluere hieß. Dort landeten sie, um sich auszuruhen, und sie wähnten sich in Sicherheit. Doch kaum waren sie in der Burg, als sie gefangengenommen wurden, denn es gab auf der Burg einen Brauch, daß jeder, der mit einer Dame ankam, gegen den Burgherrn kämpfen mußte, der Breunor hieß. Und wenn Breunor siegte, wurden der fremde Ritter und seine Dame getötet, wer immer sie waren. Wenn aber der fremde Ritter siegte, dann sollten Sir Breunor und seine Gemahlin sterben. Dieser Brauch wurde viele Jahre geübt, und deshalb hieß die Burg Pluere, das heißt Burg der Tränen.  - (artus)

Liebestrank (2)  »Afránio Peixoto erzählt in einem Roman, daß ein Bursche und ein Mädchen, die sich nicht liebten, gemeinsam diesen Wein tranken, ohne zu wissen, worum es sich handelte. Zur gleichen Stunde umschlang die blutige, giftige und köstliche Brennessel der Liebe die beiden, und sie wurden für den Rest ihres Lebens in Leidenschaft verstrickt. Das fesselt mich sehr, Herr Richter, weil das gleiche später auch Sinesio und seiner jungen Dame widerfuhr, der schönen Heliana, dem verträumten Mädchen mit den grünen Augen. Denn unser Wein ist wirklich so: wenn Sie ihn allein trinken und dabei an eine Frau denken, so gibt sie sich in der Vision hin, und Sie können sie besitzen, wie Sie wollen. Besser geht es nicht, und wenn Sie dann aufwachen, sind Sie frei und unbeschwert - die Frau hat keinen Schaden genommen und nichts gemerkt. Wenn aber ein Mann und eine Frau den Wein gemeinsam trinken, so werden sie auf ewig in schlimme Liebe verstrickt, eine gleichzeitig geistige und sinnliche, geschlechtliche und göttliche Liebe. Sie nährt mit dem Blute der beiden Liebenden das Brennesselgestrüpp und die Favelleira-Kakteen des Schrecklichen, die dornigen, ätzenden Blüten der Liebe. Afränio Peixoto erzählt: sowie die beiden von dem Wein getrunken hatten, kam es dem Burschen vor, als ob ein Busch mit scharfen Dornen und ätzenden Blüten seine Wurzeln in sein Herzblut senkte, und er umschlang mit starken Armen den schönen Leib seiner Geliebten, während gleichzeitig das Gestrüpp die beiden für immer festhielt, ihren Leib, ihr Denken, ihr Blut und ihre Begierde.«   - (stein)

Liebestrank (3)  Wahrlich ein höchst seltsames Ergebnis: Meine Schmetterlinge eilen dorthin, wo nichts ist, verweilen dann an diesem Ort und sind auch durch dauernde sichtbare Hinweise auf das, was sie doch wahrnehmen müßten, nicht umzustimmen. Keinen Augenblick zögern sie in unmittelbarer Nähe der Glasglocke, in der das Weibchen nicht zu übersehen ist, weder von den Wegfliegenden noch von den Ankommenden. Wie behext von einem Lockmittel schenken sie der Wirklichkeit überhaupt keine Beachtung.

Worauf fallen sie herein? Die ganze vorauf gegangene Nacht und den heutigen Morgen hat das Weibchen unter der Drahtglocke zugebracht, sich am Gitter festkrallend oder auf dem Sand in der Schüssel schlafend. Offensichtlich alles, was es längere Zeit mit seinem dicken Bauch berührt hat, saugt sich mit bestimmten Ausdünstungen voll. Und das eben ist das Lockmittel, der Liebestrank; genau das setzt dann die Welt der Eichenspinner in Aufruhr. Der Sand bewahrt die Düfte geraume Zeit und verströmt sie rundum.

Also leitet der Geruchssinn die Schmetterlinge, trägt die Kunde in die Ferne. Völlig benommen von diesem Duft, nehmen sie die Signale ihrer Sehkraft überhaupt nicht zur Kenntnis; sie fliegen einfach an dem gläsernen Gefängnis vorbei, in dem die schöne Gefangene jetzt einsitzt; sie suchen das Gitter der Drahtglocke, den Sand auf, wo die magischen Kännchen ihren Inhalt entleert haben; sie eilen an den verlassenen Ort, an dem von der Zauberin nichts anderes zurückbleibt als der duftende Beweis dafür, daß sie sich dort vorher aufgehalten hat.

Der unwiderstehliche Liebestrank braucht eine gewisse Zeit, bis er seine volle Kraft entfaltet. Ich stelle ihn mir vor wie eine Ausdünstung, die erst nach und nach wirksam wird und die Gegenstände, mit denen das regungslose und dickbäuchige Weibchen in Berührung gekommen ist, voll und ganz durchtränkt. - (fab2)

 

Liebe Trinken

 

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