Liebeslehrerin   »Mara ist - wenn Ihnen etwas an diesem Wort liegt - ein Geist, dazu verdammt, in Xaghriet Mewwija zu leben. Die bewohnbare Ebene; die Halbinsel, an deren Ende La Valetta, ihr Zuhause, liegt. Sie pflegte den schiffbrüchigen St. Paul - wie vorher schon Nausikaa und Odysseus -, lehrte jeden Eindringling von den Phöniziern bis zu den Franzosen die Liebe. Vielleicht sogar die Engländer, obwohl die Legende nach Napoleon an Glaubwürdigkeit verliert. Allem Anschein nach war sie eine wirklich historische Persönlichkeit, wie etwa die heilige Agatha, eine andere der unbedeutenderen Heiligen dieser Insel.

Nun war die Große Belagerung zwar nach meiner Zeit, aber die Legende erzählt, daß sie einst die ganze Insel betreten durfte, daß ihr auch niemand verwehrte, bis zu den Fanggründen von Lampedusa zu segeln. Die Fischerboote lagen dort immer in Form einer Johannisbrotfrucht, ihrem Symbol. Anfang 1565 - post Christum natum - kaperten zwei Seeräuber, Giou und Romegas, eine türkische Galeone, die dem obersten Seraileunuch des Sultans gehörte. Als Vergeltung dafür wurde Mara während einem ihrer Ausflüge nach Lampedusa von dem Korsaren Dragut gefangengenommen und nach Konstantinopel gebracht. Sobald das Schiff jedoch jenen unsichtbaren Kreis verließ, dessen Mittelpunkt Xaghriet Mewwija war und an dessen Rand Lampedusa lag, fiel sie in einen seltsamen Trancezustand, aus dem sie weder Liebkosungen noch die Folter wecken konnten. Da die Türken eine Woche zuvor ohnehin ihre Galeonsfigur bei einer Kollision mit einem sizilianlschen Schiff eingebüßt hatten, banden sie Mara kurzerhand an den Bugspriet, und so fuhr sie in Konstantinopel ein: als lebende Galeonsfigur. Als sie schon kurz vor der Stadt standen - ein blendendes Gelb und Dunkelbraun unter klarem Himmel -, hörten sie, wie sie erwachte und rief: ›Lejl, hekk ikun.‹ Es werde Nacht. Die Türken dachten, sie hätte den Verstand verloren. Oder wäre erblindet. Sie brachten sie in den Serail, führten sie vor den Sultan. Von nun an wird sie nicht mehr als rasende Schönheit beschrieben. Sie nimmt die Züge verschiedener, meist unbedeutender Göttinnen an. Die Freude an der Verkleidung ist eine ihrer Haupteigenschaften. Eines jedoch fällt auf, wenn man ihre Darstellungen - auf Vasenmalereien, Friesen, als Skulptur - betrachtet: immer ist sie hochgewachsen, mager, mit kleinen Brüsten, aber sie hat einen Bauch. Gleichgültig, wie man sich das Idealbild der Frau vorstellte, sie bleibt sich immer gleich. Die Nase ist leicht gebogen, die kleinen Augen stehen weit auseinander. Keine von den Frauen, nach denen man sich auf der Straße umdrehen würde. Und doch war sie eine Lehrerin der Liebe. Nur ihre Schüler mußten schön sein.

Sie gefiel dem Sultan. Vielleicht wollte sie es. Etwa um die Zeit, als er auf ihrer Insel La Valetta das Rinnsal zwischen Senglea und St. Angelo mit einer Eisenkette sperrte.und die Quellen in der Ebene von Marsa mit Haschisch und Arsen vergiftete, wurde sie eine seiner Konkubinen. Doch kaum war sie im Serail eingezogen, kehrte sie das Unterste zuoberst. Man hatte ihr schon immer magische Kräfte nachgesagt. Vielleicht hat die Johannisbrotfrucht etwas damit zu tun - jedenfalls wird sie oft dargestellt, wie sie eine in der Hand hält. Zauberstab, Zepter. Vielleicht hielt man sie auch für eine Art Fruchtbarkeitsgöttin (verwirre ich den Angelsachsen in Ihnen?), allerdings eine seltsame, hermaphroditische Göttin.

Bald schon - nach nur wenigen Wochen - bemerkte der Sultan, wie alle seine nächtlichen Genossinnen von einer seltsamen Kälte überfallen wurden; ein Widerwille, ein Verlust ihrer Routine. Doch auch eine Änderung im Verhalten seiner Eunuchen. Fast waren sie - wie soll ich es sagen - eitel, und sie schienen ihre Eitelkeit verbergen zu wollen. Es gab jedoch nichts, was er erfahren hätte; und wie die meisten unvernünftigen Männer, die von Ungewißheit gequält werden, folterte er manche der Eunuchen und Frauen auf gräßliche Weise. Alle beteuerten sie ihre Unschuld, zeigten ehrliche Furcht bis zur letzten Krümmung des Halses, bis zum letzten Stoß des Eisendorns. Und doch wurde es nur noch schlimmer. Spione berichteten, daß Konkubinen, die einst mit damenhaftem Schritt (beschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit durch Ketten um ihre Füße) auf und ab promenierten und die Augen schamhaft gesenkt hielten, nun den Eunuchen wahllos zulächelten, ihnen zuzwinkerten, und die Eunuchen - quel horreur! - zwinkerten zurück. Mädchen, die alleingelassen waren, fielen plötzlich mit wilden Liebkosungen übereinander her, und gelegentlich kümmerten sie sich nicht einmal um die Anwesenheit der schockierten Agenten des Sultans.

Schließlich geschah es, daß Seine Geistliche Magnifizenz, fast außer sich vor Eifersucht, die Hexe Mara zu sich rufen ließ. Als sie, in ein Gewand aus Schmetterlingsflügeln gehüllt, vor seinem Thron stand, lächelte sie geheimnisvoll. Das kaiserliche Gefolge war wie verzaubert. ›Weib‹, begann der Sultan.

Sie hob eine Hand. ›Ich habe es alles getan‹, sagte sie sanft: ›ich habe deine Frauen gelehrt, ihren eigenen Körper zu lieben, habe ihnen das Wohlgefühl gezeigt, das die Liebe von Frauen gibt. Ich habe deinen Eunuchen ihre Kraft zurückgegeben, daß sie sich aneinander ebenso erfreuen können wie an den dreihundert parfümierten weiblichen Wesen deines Harems.‹

Entsetzt ob dieses raschen Geständnisses, sein verletzliches Moslimgefühl durch die Epidemie der Perversion, die sie über seine häusliche Ruhe gebracht hatte, aus den Fugen geraten, unterlief dem Sultan jener fatale Fehler, der bei jeder Frau gefährlich ist: er ließ sich auf eine Diskussion ein. Mit einem Sarkasmus, den man bei ihm nur selten erlebte, erklärte er ihr, warum für einen Eunuchen der Geschlechtsverkehr unmöglich sei.

Ihr Lächeln verflog nicht, und ihre Stimme war sanft wie zuvor, als sie ihm antwortete: ›Ich habe sie mit dem Nötigen versorgt‹.«  - (v)

 

Liebe Lehrerin

 

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