Liebe, sündige  Ich liebe ihn sinnlich, leidenschaftlich. Ein Genuß, sein schmales, federleichtes Händchen zu halten, in seine blauen runden Augen zu blicken, deren Wimpern so lang sind, daß sie Schatten auf die Wangen werfen, wie meine Freundin, die Schriftstellerin, es einmal ausgedrückt hat. Sie werfen nicht nur Schatten auf die Wangen, füge ich hinzu. Sogar auf die Wand, wenn er in seinem Bettchen unter der Lampe sitzt. Feste, gebogene, dichte Wimpern. Ein richtiger Fächer! Eltern lieben ihre kleinen Kinder sowieso sinnlich, doch noch viel mehr die Großmütter und Großväter, diese fleischliche Liebe ersetzt ihnen alles. Eine sündige Liebe, sage ich euch, das Kind wird davon nur gefühllos und frech, als verstünde es, daß da was faul ist. Aber was hilft's? Es ist uns von der Natur vorherbestimmt zu lieben. Es ist uns von Gott gegeben, und die Liebe breitet ihre Flügel auch über die aus, die nicht mehr dürfen, über die Alten. Wärmt euch! Sie standen in der Küche, meine zwei Lieblinge, und ich war überflüssig.   - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)
 
 

Liebe Sünde

 

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