ichtwechsel
Bisweilen fällt in das Haus eine Flut weinrotes, fluktuierendes,
metallisches Licht ein, welches das Haus, so wage ich zu sagen, in eine Landschaft,
in einen zufällig bezaubernden Ort verwandelt, den ich reglos bewundere und
dem ich mich widerstandslos überlasse. Mir drängt sich die Frage auf, ob dieses
weinrote Licht nicht eine besondere Beziehung
zu meinem Dasein andeutet, aber ich wüßte keine Antwort auf die Frage, ob sie
sozusagen überhaupt eine Bedeutung hat. Doch schon seit langer Zeit habe ich
aufgehört, mich zu fragen, ob das Haus überhaupt zu Bedeutungen fähig ist, und
welche es sein könnten. Wenn das Licht violett wird, dann wird es auch intensiver
und zugleich düster und aufregend, und ich sage mir ohne jeglichen Grund, das
Haus will mich an mein Verschwinden gewöhnen: an den elektrischen und verlassenen
Augenblick, in dem ich meine Stimme und meine Hände auf einen vollständig leeren
Tisch legen muß. Außer dem violetten Licht herrscht nur eine Art Finsternis
mit verschiedenerlei Seinsweisen, die sich aber seltsamerweise nicht durch ihre
Intensität unterscheiden, sondern durch etwas, das ich ihre Neigung nennen möchte,
als hätte die Finsternis eine wandelbare, unbeständige Quelle, voll Ungeduld
in ihrer Eigenschaft als Finsternis. Ich vermute, daß immer, wenn das Haus ganz
von der Finsternis durchdrungen wird, das Dasein der Wände, der Türen und der
Möbel vorübergehend aufgehoben ist, und ich vermute, daß ich selbst auch eine
vorübergehende Aufhebung meines Daseins genieße, in der ich reglos waagerecht
auf etwas ausgestreckt liegen darf, das ich Bett nenne, obwohl ich überzeugt
bin, daß die Tatsache, irgendeinem Gegenstand irgendeinen beliebigen Namen zuzuschreiben,
durch nichts zu rechtfertigen ist, und vermutlich gönne ich mir die Namengebung
nur, um ein wenig zuversichtlicher zu werden, aber eher zum Spaß als aus Angst;
denn ich fürchte mich nicht vor der Finsternis, vor keiner ihrer Neigungen,
obschon die Reg-losigkeit, zu der sie mich zwingt, sich bisweilen über eine
Zeitspanne ausdehnt, die mir lange erscheint und die in Wirklichkeit nicht meßbar
ist, denn die Zeit des Hauses wandelt sich je nach dem Licht. - Giorgio Manganelli, Kometinnen
und andere Abschweifungen. Berlin 1997
Lichtwechsel (2) Grßmutter Matern saß fest im Stuhl, rollte mit Augäpfeln, blubberte, seiberte und brachte dennoch kein Wort zusammen.
In der Hängestube saß sie und wurde von rasenden
Schatten getroffen. Sie blitzte auf, verging im Halbdunkel, saß grell,
saß düster. Auch Stücke Möbel, der Aufsatz des Vertikos, der gebuckelte
Deckel der Truhe und der rote, seit neun Jahren unbenutzte Sammet des
geschnitzten Betschemelchens leuchteten auf, vergingen, zeigten Profile,
dunkelten klobig: flittriger Staub, staubloses Dämmern über der
Großmutter und ihren Möbeln. Ihr Häubchen und der Pokal, glasblau auf
dem Vertiko. Die gefransten Ärmel des Bettjäckchens. Das
blindgescheuerte Dielenholz, auf dem die bewegliche, etwa handgroße
Schildkröte, die der Mahlknecht Paul ihr geschenkt hatte, von Ecke zu
Ecke wechselte, aufleuchtete und den Mahlknecht überlebte, indem sie mit
kleinem Biß grünen Salatblättern halbrunde Profile gab. Und alle in der
Hängestube verstreuten Salatblätter mit ihren Schildkrötenbißornamenten
traf es grell grell grell; denn draußen, hinterm Haus, mahlte die
Matenische Bockwindmühle, bei einer Windgeschwindigkeit von acht Metern
pro Sekunde, Weizen zu Mehl und wischte mit ihren vier Flügeln viermal
in dreieinhalb Sekunden die Sonne aus. - Günter Grass, Hundejahre. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1963)
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