esbos  Auf der Grenouillère schallte ein Ruf: »Lesbos kommt!«, und schlagartig brach ein wüstes Toben los; fürchterliches Geschubse begann; Gläser stürzten; man kletterte auf die Tische; alles johlte im Lärmrausch: »Lesbos! Lesbos! Lesbos!« Der Schrei toste auf, verzerrte sich und ging in einem einzigen Brüllen unter, dann plötzlich schien er von neuem klar zu tönen, in den Raum zu steigen, die Ebene zu überrollen, ins dichte Laub der hohen Bäume einzufallen, an den fernen Uferhügeln sich zu brechen, aufzubranden bis zur Sonne.

Die Frau am Ruder hatte bei dieser Ovation ruhig innegehalten. Die dicke Blonde am Boden des Kahns wendete lässig den Kopf und stützte sich auf die Ellenbogen; und die beiden Schönen hinten fingen an zu lachen und grüßten die Menge.

Da verdoppelte sich das Tosen, und das schwimmende Café erzitterte. Die Männer schwenkten die Hüte, die Frauen winkten mit den Taschentüchern, und alle Stimmen, hohe oder tiefe, schrien zusammen: »Lesbos!« Es mutete an, als ob dieses Volk, diese Bande von Angeschlagenen, ein Oberhaupt begrüßte, so wie Geschwader Salutschüsse feuern, wenn ein Admiral vorüberfährt.

Auch die zahlreiche Flotte der Kähne akklamierte dem Frauenboot, das in seinem schläfrigen Treiben weiterzog, um wenig entfernt anzulegen.

Monsieur Paul hatte, entgegen den andern, einen Schlüssel aus der Tasche gezogen und pfiff, so laut er konnte. Seine Freundin, nervös und noch blasser geworden, hielt seinen Arm fest, um ihn am Pfeifen zu hindern, und betrachtete ihn diesmal mit Zorn in den Augen. Aber er schien außer sich, brodelnd von männlicher Eifersucht, einer tiefen, instinktiven, ungeordneten Wut. Mit vor Entrüstung zitternden Lippen fauchte er:

»Es ist eine Schande! Man sollte sie wie Hündinnen mit einem Stein um den Hals ersäufen!«

Da ging Madeleine plötzlich hoch; ihre dünne scharfe Stimme zischte, und sie redete mit einer Zungenfertigkeit, als verföchte sie ihren eigenen Fall: »Geht dich das was an? Können sie nicht tun, was sie wollen, wo sie niemand was schuldig sind? Laß uns mit deinem Zirkus in Frieden und kümmre dich um deinen Kram ...«

Aber er schnitt ihr das Wort ab.

»Das geht die Polizei an, und ich sage dir, die bringe ich nach Saint-Lazare!«

Sie fuhr auf.

»Du?«

»Ja, ich! Und bis dahin verbiete ich dir, mit ihnen zu reden, verstehst du, ich verbiete es dir.«

Da zuckte sie die Achseln und sagte unerwartet ruhig:

»Mein Kleiner, ich tue, was mir paßt; wenn du was dagegen hast, verschwinde, und zwar sofort. Ich bin nicht mit dir verheiratet, oder? Also halt deinen Mund.«

Er antwortete nicht, und sie standen sich mit verzerrtem Mund und kurzem Atem gegenüber.

Am andern Ende des großen Freilichtcafés hielten die vier Frauen ihren Einzug. Die beiden als Männer kostümierten gingen voraus: die eine mager, einem ältlichen Knaben gleich, mit gelben Flecken an den Schläfen; die andere, die ihr weißes Flanelljackett mit ihrem Fett blähte, die weite Hose mit ihrer Kruppe wölbte, watschelte wie eine Mastgans auf gewaltigen Schenkeln und einwärts gekehrten Knien. Ihre zwei Freundinnen folgten ihnen, und die Ruderer drängten heran und schüttelten ihnen die Hände.

Sie hatten zu viert ein kleines Haus am Flußufer gemietet und lebten dort wie in zwei Ehen. Ihr Laster war allbekannt, unverhohlen, offenkundig. Man redete darüber, als wäre es etwas Natürliches, das sie beinahe sympathisch machte, und flüsterte sich hinter vorgehaltener Hand sonderbare Geschichten zu. Dramen, aus rasender weiblicher Eifersucht geboren, und heimliche Besuche bekannter Frauen, Schauspielerinnen, in dem kleinen Haus am Strom.  - (nov)

Lesbos (2)   Die griechische Dichterin Sappho, nach der sich ein eigenes Odenversmaß benennt, lebte um 600 v.Chr. auf der Insel Lesbos, die als Heimat der lyrischen Poesie galt, da hier das Haupt des von den Mänaden zerrissenen Orpheus bestattet war. - (dau)
 
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