Lerche  Die Lerchen haben ja immer zu Diskussionen Anlaß gegeben, und obwohl ich meinen Shakespeare in der Oxfordausgabe nicht bei mir habe (Fafnir hat seine Grenzen, der Arme), erinnere ich mich an die Liebesnacht der Liebenden von Verona, und wie sich Julia und Romeo darüber unterhalten, ob der Vogel, der vor dem Fenster singt, eine Nachtigall oder eine Lerche ist. Hier in La Coucourde gibt es keine Nachtigallen, das steht fest, also sind die Vögel, die hier um uns her fliegen und singen, Lerchen; wohl eine sehr Shakespearesche Schlußfolgerung.

In meinem Geblümten Greuel liegend, verfolge ich den Aufstieg einer Lerche. Klein und grau und glücklich, gewinnt sie in weiten Spiralen an Höhe, steigt singend auf, und ihr Gesang ist voll, nicht sehr abwechslungsreich, doch anhaltend und farbenfroh, er scheint einer fortwährenden Freude zu entsprießen, als hätten die Lerche und ihr Flug als einzigen Daseinsgrund diesen ununterbrochenen Gesang, diese Verherrlichung des Lebens um seiner selbst willen, ohne Ursachen noch Begründungen, ohne Himmel noch Hölle. Fast nur noch ein Punkt im Raum, verharrt sie reglos gegen den Wind, und ihre Flügel vibrieren in einem kristallinen Schwebezustand, aus dem ihr Gesang entspringt und wunderbarerweise bis zu mir herabdringt. Wie kann diese winzige Kehle, dieses zerbrechliche Körperchen Quelle einer Musik sein, die in hundert Meter Höhe ausgesandt wird und sich mit solcher Klarheit in meinem fast ungläubigen Ohr niederschlägt?

In diesem Augenblick der Fühlungnahme, der vollkommenen Empathie, kommt mir Vaughan Williams' symphonisches Gedicht The Lark Ascending in den Sinn. Aus denselben Gründen, aus denen ich keinen Shakespeare lesen kann, kann ich es hier nicht hören, und es ist mir nicht möglich, seine Melodieführung mit der zu vergleichen, die jetzt vom Himmel herabkommt, aber sein Titel bestätigt mir, daß die Lerche beim Aufsteigen singt, daß sie von ihrer eigenen Musik in die Höhe getragen wird wie meines Wissens kein anderer Vogel.

Und dann sinkt sie sanft, fast zaudernd herab, um auf einem Zweig auszuruhen, und Carol erinnert sie mit dem seltsam nach unten gebogenen Körper an einen Phoenix, ein Seepferd der Lüfte, die Flügel schlagen immer langsamer, bis sie sich auf dem Zweig in ein unauffälliges Vögelchen verwandelt, ein Tierchen, das jetzt wie ein Spatz oder eine Drossel aussieht.   - Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. Frankfurt am Main 2014 (BS 2481, zuerst 1983)

Lerche (2)

Lerche (3, abgestürzte)  «Ich weiß von nichts», sagte der Kontaktmann. Und von der Freundlichkeit des Hauptmanns ermuntert, schwang sich sein Spitzelgemüt gleich einer Lerche auf und tirillierte laut vor Freude über die Aussicht, Leiden zufügen zu können. «Ich weiß von nichts. Aber so aufs Geratewohl würde ich sagen, daß entweder Ciccio La Rosa oder Saro Pizzuco diese Vorschläge gemacht haben könnte ...» Und schon verwandelte sich sein steiler freudiger Aufflug in einen Absturz, einen Stein, der in die Mitte seines Seins, seiner Angst fiel.  - Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. In: L. S., Mafia-Romane. Zürich 1991

Lerche (4)

Die Lerch trierieret ihr Tiretilier,
es binken die Finken den Buhlen allhier.
Die Frösche coaxen und wachsen in Lachen,
rekrecken, mit Strecken sidi lustiger machen,
es kimmert und wimmert der Nachtigall Kind,
sie pfeifet und schleifet mit künstlichem Wind.

- Johann Klaj, nach: Gustav René Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst. Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)

 

Vogel

 

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