eonardo
Der König bietet ihm viertausend Gulden für die Gioconda,
aber er kann sich nicht von ihr trennen, der König will sie trotzdem haben,
der Alte wirft sich ihm zu Füßen, weint, macht sich lächerlich vor den Gästen,
er bietet ihm sein letztes Bild an, einen Johannes der Täufer,
aber die Gioconda, nein, die ist sein Leben. Fünf Jahre hat er daran gemalt,
fünf Jahre war er über sie gebeugt, schweigend, alternd, sie niemandem zeigend.
In dem Zimmer, wo er sie malte, waren Torsos hellenischer Statuen, hundsköpfige
ägyptische Götter aus schwarzem Granit, Gemmen der Gnostiker mit Zauberinschriften,
byzantinische elfenbeinharte Pergamente mit Bruchstücken ewig verlorengeglaubter
griechischer Dichtungen, Tonscherben mit assyrischer Keilschrift, Schriften
der persischen Magier in Eisen gebunden, memphische Papyri, durchsichtig und
fein wie Blumenblätter -: darin mußte er sich verwandeln, dem nachhängen, vielleicht
sogar unterliegen ~ da lebte er fünf Jahre seinem einen inneren, Gesicht. Der
König und sein Gefolge fanden ihn erbärmlich, aber so behielt er das Bild in
seinem Zimmer. Die Wendeltreppe zu seiner Schlafkammer war eng und steil, er
stieg sie unter Anfällen von Schwindel und Atemnot empor, dann wurde die rechte
Seite gelähmt, er konnte mit der linken Hand zeichnen, aber nicht malen, dann
spielte er die Abende mit einem Mönch Hölzchenspiele und Karten, dann wurde
er auch links gelähmt, eben hatte er noch gesagt, hebe dich auf und wirf dich
ins Meer, dann starb er und nun ruhte er, wie das Gewicht, das gefallen ist.
Ein in seiner Nähe wohnender russischer Ikonenmaler trat nach seinem Tode an
die Staffelei des Johannes und äußerte: Unerhörte Schamlosigkeit, soll denn
dieser liederliche Geselle, der wie eine Dirne entblößt ist und weder Bart noch
Schnurrbart hat, der Vorläufer Christi sein?
Teufelsspuk, verunreinige meine Augen nicht! - Gottfried Benn, Altern
als Problem für Künstler. In: G. B., Essays Reden Vorträge. Wiesbaden 1965
(zuerst 1954)
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