Lenzgespenst

MILLIONEN NACHTIGALLEN SCHLAGEN

Die Sterne. Blaue. Ferne.
Ein Flammensang der Sternel
Millionen Nachtigallen schlagen.
Es blitzt der Lenz.
Myriaden Wimpern zucken glühend auf.
Das grüne Glück von Frühlingsnachtgelagen
Beginnt sein eigenbrüstiges Geglänz.
Die lauen Schauer nehmen ihren Zauberlauf:
Millionen Nachtigallen schlagen.
Erkenne ich ein freundliches Gespenst?
Ich werde mich im Ernst darum bewerben.
Der kleinste Wink will sich ins Wittern kerben:
Wer weiß, wann meine Träumlichkeit erglänzt? 
Gespenster gleichen unsern sanften Tieren,
Sie können schnell den Samt der Neigung spüren.
Sie heben, schweben, weben sich heran,
Und halten uns unfaßbar sadit im Bann.
Ich will die Lichtgewimmelstille nicht verlieren,
Ein altes Walten muß sich bald aus Sanftmut rühren.
Millionen Nachtigallen schlagen.
Die ganze Nacht ermahnen uns verwandte Stimmen.
Es scheint ein Mond geheimnisvoll zu glimmen.
Doch ist zu warm die Nacht, voll atmendem Behagen!
Myriaden brunstbewußte Funken suchen sich im Fluge,
Sie schwirren hin und her und doch im Frühlingszuge.
Das Lenzgespenst, das Lenzgespenst geht um im Hage!
Es kann der Laubwald wandern und sich selbst erwarten,
Das schwankt und walzt nach allen alten Wandelarten;
Es lacht die Nacht: der Wagen wagt, es wacht die Wage.
Es blitzen da Myriaden tanzvernarrte Fragen —
Millionen Nachtigallen schlagen.

 - Theodor Däubler, nach: Menschheitsdämmerung. Hg. Kurt Pinthus (zuerst 1920)

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