eidensdruck
Hauptsache, dass ich da hinkomme nach Eppendorf, wo sie ja auch Bohlmann behandelt
haben, 1974, zwei Tage vor Weihnachten, wo sie Bohlmann zu einer stereotaktischen
Leukotomie geraten haben, und vielleicht raten sie mir ja auch zu etwas, also
nicht zu einer stereotaktischen Leukotomie, das ist nicht mehr ganz auf der
Höhe der Zeit und bei Fällen wie mir völlig überzogen, überproportioniert sozusagen,
das wäre quasi, als wollte man mit Kanonen auf Spatzen, so ungefähr, aber bei
Bohlmann, da war das was anderes, dessen Leidensdruck war ja ein ganz anderer,
da war es angezeigt, ihm zwei Löcher in den Schädel zu bohren und Sonden einzuführen,
um die vorher genau berechneten und für seine Störungen zuständigen Teile des
Gehirns zu veröden, denn er sollte schließlich auch ein normales Leben führen,
nicht mehr leiden, seine Ängste und Zwangsstörungen verlieren, diese Ängste,
die ihn seit der Kindheit plagten, die sollte er nicht mehr haben, und dann
würde er auch seine Zwangshandlungen nicht mehr ausführen müssen, um diese Ängste
in Schach zu halten, Wasserhähne zum Beispiel, die konnte er gar nicht sehen,
deshalb bat er die Redakteurin auch, damals 1974, zwei Tage vor Weihnachten,
sich vor den Wasserhahn zu setzen, als sie mit ihm auf die Operation wartete,
und die Redakteurin erfüllte seinen Wunsch und setzte sich vor den Wasserhahn,
weil Bohlmann auch sonst einen sehr ruhigen und gefassten Eindruck auf sie
machte, obwohl dieser Eingriff nicht ohne war, und darum ging es auch in ihrem
Bericht für das Gesundheitsmagazin Praxis im ZDF, denn es ging nicht um Bohlmann,
den 1974 noch niemand kannte, es ging noch nicht einmal um die stereotaktische
Leukotomie, sondern es ging allein um das Thema Patientenaufklärung, weil man
damals anfing, die Patienten vor der Operation über die möglichen Gefahren eines
solchen Eingriffs aufzuklären, und das filmte die Redakteurin für das Gesundheitsmagazin
Praxis, sie filmte, wie der Arzt Bohlmann die möglichen Komplikationen aufzählt,
erzählt, dass es zu Blutungen, zu Gedächtnisverlust, zu Störungen der Motorik
oder zu Kreislaufproble-men kommen kann, ihm das alles detailliert erklärt,
ohne zu ahnen, dass Bohlmann alles recht ist, dass es ihm auch recht wäre draufzugehen,
dass er deshalb so gelassen wirkt, weil er zu allem bereit ist, weil sein Leidensdruck
so hoch ist, die Ängste so übermächtig sind, selbst durch Zwangshandlungen nicht
mehr einzudämmen, die selbst übermächtig sind mittlerweile, weshalb sich Bohlmann
gelassen in den OP begibt, weil er endlich das loswerden will, was ihn schon
seit seiner Kindheit verfolgt, eigentlich schon immer verfolgt, eigentlich verfolgt,
seit er mit zwei in eine Jauchegrube fiel und seine Mutter nichts merkte und
er fast ertrunken wäre, hätte ihn nicht eine Nachbarin herausgezogen. -
(raf)
Leidensdruck (2)
Hauptpersonen
ANNE FAULKNER GUY HAINES MIRIAM JOYCE-HAINES OWEN MARKMAN CHARLES BRUNO SAMUEL BRUNO Elsie BRUNO ARTHUR GERARD |
liebt den Mann einer anderen. ist verheiratet und leidet darunter. erwartet das Kind eines anderen und wird erwürgt. empfindet darüber Erleichterung. trinkt und leidet unter seinem Vater. leidet unter seinem Sohn und wird erschossen. leidet unter Elsie Bruno, aber sie merkt es nicht. glaubt nicht an perfekte Alibis. |
- Personenverzeichnis zu: Patricia Highsmith, Alibi für zwei. Reinbek bei Hamburg 1969 (zuerst
1950)