eichtgläubigkeit  MALERBA  Als ich zu Beginn sagte, ich hätte mich beim Lesen Ihrer »Naturalis Historia« amüsiert, geschah das nicht aus Unverschämtheit oder Boshaftigkeit. Ich wollte sagen, daß man Ihr Werk heute unter einem neuen Blickwinkel lesen könnte, nachdem es für uns einen Großteil seines wissenschaftlichen Wertes verloren hat.

PLINIUS  (mißtrauisch) Fahren Sie fort.

MALERBA Gewisse Geschichten, die Sie in Ihren Büchern erzählen, wie die, die wir soeben erwähnt haben, scheinen Fabeln zu sein...

PLINIUS Fangen Sie schon wieder an mit Ihren Unverschämtheiten?

MALERBA Ich meine es in gutem Sinne. Fabeln können gute Literatur sein.

PLINIUS Na und?

MALERBA Ich dachte an eine neue Lektüre Ihrer »Naturalis Historia« unter dem Signum des Wunderbaren, des Phantastischen.

PLINIUS Das Wunderbare und das Phantastische sind stets die Antriebskräfte der Wissenschaft gewesen, und mir scheint, sie sind es auch in Ihren Tagen noch.

MALERBA Ich habe den Eindruck, daß in bestimmten Büchern Ihrer »Naturalis Historia« gerade das phantastische Element überwiegt. Ich dachte, man könnte dazu anregen, Plinius heute als einen Verfasser von Fabeln neu zu lesen.

PLINIUS Ich, Verfasser von Fabeln! Wie Äsop, Phaedrus, Apuleius und die anderen Fabeldichter!

MALERBA Ja.

PLINIUS Aber kein Gedanke! Lieber soll man mich vergessen, lieber verschimmle ich in den Bibliotheken, staubbedeckt und von Würmern zernagt! Ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht, nach Wahrheit zu streben, das Wahre zu suchen, wo immer ich es finden konnte, in fremden Texten oder im großen Buch der Natur, und jetzt wollen Sie mich der Schar der Fabelverkäufer zuschlagen!

MALERBA Sie müssen doch zugeben, Admiral, daß Sie in Ihren Büchern Legenden und vielen unwahrscheinlichen, phantastischen Gerüchten einen breiten Raum eingeräumt haben. Und ich würde sagen, daß dies der gelungenste Teil ist, der Teil, den man noch heute mit großem Vergnügen lesen kann. Um noch ein Beispiel zu nennen: die Seiten des zweiten Buches, wo Sie von den phantastischen Regenfällen berichten, dem Milchregen, dem Blutregen...

PLINIUS O nein! Sie beurteilen Tatsachen als phantastisch, die wirklich geschehen sind, die dokumentiert sind. Der Milchregen und der Blutregen haben sich unter dem Consulat von Manlius Aculius und Gaius Porcius sowie, in Abständen, auch noch in späteren Zeiten ereignet. Der Fleischregen fand unter dem Consulat von Volumnius und Servius Sulpicius statt und der Eisenregen in Lukanien in dem Jahr, bevor Crassus gemeinsam mit allen lukanischen Soldaten, die in seinem Heer kämpften, von den Parthern ermordet wurde. Das Eisen regnete in Form von schwarzen Schwämmen vom Himmel, zusammen mit eisenhaltigem Pulver. Dann gab es noch einen Wollregen unter dem Consulat von Paulus und Marcellus in der Gegend der Festung von Compsa. Hunderte von Zeugen können beweisen, daß sich diese Phänomene tatsächlich ereignet haben.

MALERBA Nun, ich denke, daß diese Zeugen nicht mehr verfügbar sind, nach zweitausend Jahren.

PLINIUS Allerdings. Und sie machen sich diesen nebensächlichen Umstand zunutze, um historische Ereignisse zu diskreditieren, die niemals jemand in Zweifel zu ziehen gewagt hat.

MALERBA Nehmen wir, um der Absurdität willen, ruhig einmal an, daß es Milch-, Blut-, Eisen- und Wollregen gegeben hat. Ebenfalls im zweiten Buch berichten Sie von anderen, noch weniger wahrscheinlichen Dingen, die vom Himmel geregnet sein sollen.

PLINIUS Sie haben recht. Ich muß zugeben, daß es stets meine Schwäche gewesen ist, wahre Dinge mit unwahren zu vermischen. Sie spielen auf den Regen von Terrakottagegenständen an, nicht wahr? Ich hätte diesen Bericht nicht aufnehmen, ihm keinen Glauben schenken dürfen. Ich habe da einen Fehler gemacht. In Wahrheit ist es nicht sehr glaubhaft, daß Teller, Töpfe, Vasen und Schüsseln aus Terrakotta vom Himmel geregnet sind. Aber die Geschichte gefiel mir.

MALERBA Es ist ja auch wirklich eine sehr schöne Geschichte, das heißt eine sehr schöne Fabel. Aber der Milch-, der Blut-, der Fleisch-, der Eisen- und der Wollregen sind für uns genauso unglaubhaft und märchenhaft wie der Steingutregen.

PLINIUS Nur dann, wenn Sie den Augenzeugenberichten keinen Glauben schenken wollen.

MALERBA Manchmal finden die Augenzeugen, auch lebende, kein Gehör. Erst kürzlich wurden, im Fall der fliegenden Untertassen, Hunderte von Augenzeugenberichten angezweifelt.

PLINIUS Ich habe von diesen fliegenden Untertassen gehört.

MALERBA Man neigt zu der Auffassung, daß es sich um ein Phänomen von Kollektivsuggestion handelt.

PLINIUS Meiner Meinung nach gibt es sie aber. - (ma3)

Leichtgläubigkeit (2)  Ich bin Gimpel der Narr. Ich selbst halte mich nicht für einen Narren. Aber so nennen mich eben die anderen. Sie haben mir den Namen gegeben, als ich noch auf die Schule ging. Im ganzen hatte ich sieben verschiedene Namen: Schwachkopf, Esel, Tor, Trottel, Dämlack, Tropf und Narr. Der letzte Beiname blieb an mir kleben. Worin aber bestand meine Narrheit? Ich war so leicht zum Narren zu halten. Die anderen sagten beispielsweise: »Weißt du, Gimpel, daß die Frau des Rabbi jetzt in die Wochen gekommen ist?« Da schwänzte ich einfach die Schule. Nun, es stellte sich heraus, daß das Schwindel war. Wie hätte ich das aber wissen sollen? Sie hatte keinen dicken Leib gehabt. Aber ich hatte nie einen Blick auf ihren Leib geworfen. War das wirklich so närrisch? Die Horde in der Schule lachte und wieherte, stampfte und tanzte und grölte ein Gute-Nacht-Gebet. Und statt der Rosinen, die sie einem sonst schenken, wenn eine Frau niederkommt, stopften sie mir Ziegenmist in die Hand.

Ich war sicher kein Schwächling. Wenn ich jemandem einen Klaps versetzte, flog er gleich bis nach Krakau. Aber von Haus aus bin ich keine Schlägernatur. Ich sage zu mir selbst: Mach dir nichts draus. Und das wiederum machen die anderen sich zunutze.

Eines Tages kam ich aus der Schule und hörte einen Hund bellen. Ich habe keine Angst vor Hunden, aber natürlich möchte ich mich mit ihnen auch nicht gerade anlegen. Einer von ihnen könnte die Tollwut haben, und wenn der einen beißt, dann kann kein Tatar auf der ganzen Welt einem mehr helfen. Ich machte mich also aus dem Staube. Dann drehte ich mich um und sah, daß der ganze Marktplatz vor Lachen brüllte. Es war gar kein Hund gewesen, sondern Wolf-Lejb der Dieb. Woher hätte ich das aber wissen sollen? Es klang tatsächlich wie das Jaulen einer Hündin.

Als die Spaßvögel und Witzbolde herausfanden, daß ich so leicht hinters Licht zu führen war, versuchte jeder einzelne sein Glück mit mir. »Gimpel, der Zar kommt nach Frampol« -»Gimpel, der Mond ist in Turbin heruntergepurzelt« — »Gimpel, der kleine Hodel Vierstück hat hinter dem Badehaus einen Schatz entdeckt.« Und ich wie ein Golem habe allen geglaubt. Erstens ist überhaupt alles möglich, wie in den Sprüchen der Väter geschrieben steht — ich habe nur vergessen, wieso. Zweitens hatte ich schon deshalb alles zu glauben, weil die Stadt sonst über mich hergefallen wäre! Wenn ich jemals zu sagen wagte: »Ach, ihr wollt mir was aufbinden!« war der Teufel los. Die anderen wurden ganz wütend: »Was soll das heißen! Willst du etwa uns alle als Lügner bezeichnen?« Ja, was blieb da zu tun? Ich glaubte also den anderen, und hoffentlich hat es ihnen wenigstens ein bißchen gut getan. - Isaac Bashevis Singer, nach (narr)

Leichtgläubigkeit (3)  Ramanujan hatte verschiedene charakteristische Eigenschaften, die ihn von der Mehrheit der Mathematiker unterschied. Eine war der Mangel an Strenge. Sehr oft gab er einfach das Ergebnis an, das, wie er betonte, ihm aus einer unbestimmten Quelle der Intuition weit jenseits des Bereichs der bewußten Forschung zufloß. Er behauptete oft, daß die Göttin Namagiri ihn in seinen Träumen inspiriere. Das geschah immer wieder, und was alles noch geheimnisvoller machte, ja der ganzen Angelegenheit eine gewisse mystische Note verlieh, war die Tatsache, daß viele seiner „Intuitions-SÄTZE" falsch waren. Nun gibt es einen merkwürdigen paradoxen Effekt, nämlich daß manchmal ein Vorgang, der, wie man meinen möchte, leichtgläubige Menschen etwas skeptischer machen müßte, tatsächlich die umgekehrte Wirkung hat, indem er den Leichtgläubigen an einem empfindlichen Punkt seines Denkens trifft und ihn mit dem Wink beunruhigt, daß es eine geheimnisvolle irrationale Seite der menschlichen Natur gibt. Das war auch der Fall mit Ramanujans Schnitzern: viele gebildete Leute, die eine gewisse Sehnsucht verspürten, solche Dinge zu glauben, betrachteten Ramanujans intuitive Kräfte als Evidenz für einen mystischen Einblick in die Wahrheit, und die Tatsache seiner Fehlbarkeit schien den Glauben zu verstärken und nicht abzuschwächen. - (hof)

Leichtgläubigkeit (3) ist das Zeichen eines guten Naturells; sie kommt aus dem Herzen und schadet dem Geist nicht. - (jou)
 
Naivität Glaube
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Plinius
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