eichnam, lebender   Sein Name war als Miguel Saveda in den Schifffspapieren verzeichnet, und nach Miguel Saveda brüllte der Obermaat schließlich durch das Luk des Vorderkastells hinab und befahl ihm, sofort auf Deck zu erscheinen. Aber statt ihres neuen Kameraden antworteten die Matrosen und gaben dem Maat zu verstehen, Miguel liege noch in tiefer Bewußtlosigkeit und könne ihm nicht gehorchen. Darauf zog dieser sich, indem er seine üblichen Flüche vor sich hinmurmelte, auf das Achterdeck zurück.

Das geschah während der ersten Hundewache von vier bis sechs Uhr abends. Bei etwa drei Glasen in der nächsten Wache befahl Max, der Holländer, der wie die meisten alten Seeleute bei Fällen von Trunkenheit so etwas wie ein Arzt war, dem Miguel, die Kleider auszuziehen, damit er etwas bequemer liege. Aber Jackson, der im Vorderkastell selten etwas gelten ließ, was er nicht selbst vorgeschlagen hatte, widersetzte sich hartnäckig diesem Vorgehen.

So blieb der Matrose weiterhin unsichtbar in seiner Koje liegen, die sich im äußersten Winkel des Vorderkastells beim Bugsprietbeting, zwei starken, in den Schiffskiel eingefügten Holzbalken, befand. Ein paar Stunden später bemerkte einer der Männer im Vorderkastell einen seltsamen Geruch, den man auf eine tote Ratte zurückführte, die sich vielleicht in den Hohlräumen zwischen den Seitenplanken befand, denn einige Tage vorher hatte man das Schiff ausgeräuchert, um das überhandnehmende Ungeziefer auszurotten. Um Mitternacht zog die Backbordwache, zu der ich gehörte, auf, und kaum waren alle wach, als sie sich über den unerträglichen Geruch beklagten, der durch das Schwappen des Bilgenwassers infolge des Rollens des Schiffes noch verstärkt wurde.

„Hol der Teufel die Ratte!" rief der Grönländer.

„Die hat er schon geholt!" sagte Jackson, der in Unterhosen zu Miguels Koje hinübergegangen war. „Das ist 'ne Wasserratte, Kameraden, die tot ist, und hier liegt sie." Damit zog er den Arm des Matrosen heraus und rief: „Tot wie 'n Stück Holz!"

Daraufhin stürzten die Männer zu der Koje hin. Max mit dem Licht, das er dem Mann vors Gesicht hielt.

„Nein, der ist nicht tot", rief er, als die gelbe Flamme einen Augenblick lang vor dem starren Mund des Matrosen hielt. Aber kaum war das Wort gefallen, als zum stummen Entsetzen aller zwei grünliche Feuerfäden wie eine gegabelte Zunge zwischen seinen Lippen hervorschossen, und im Augenblick war das leichenhafte Gesicht von einem Schwärm wurmartiger Flammen bedeckt.

Max fiel die Lampe aus der Hand und verlosch. Währenddessen brannten die unbedeckten Teile des vor uns liegenden Körpers, völlig von Flammenspitzen und Funken übersät, die in der Stille leise knisterten, genau wie ein phosphoreszierender Hai in der mitternächtlichen See.

Die Augen waren starr geöffnet, der Mund kraus verzogen und alle Züge fast wie im Leben, während das ganze Gesicht, jetzt von flackernden blauen Flammen umgeben, einen Ausdruck grimmiger Verachtung und des ewigen Todes trug: Prometheus am Felsen, vom Feuer verzehrt.

Der eine Arm, dessen roter Hemdärmel hochgekrempelt war, trug den rötlich tätowierten Namen des Mannes bei der Höhlung des Ellenbogengelenks, und so, als enthalte das gefärbte Fleisch hier etwas Besonderes, brannte jeder Buchstabe zitternd weiß, daß man den Namen auf dem flackernden blauen Grund lesen konnte.

„Wo steckt denn nun der verdammte Miguel?" klang die Stimme des Maats durch das Luk zu uns herab. Er war gerade auf Deck gekommen und wollte jeden Mann seiner Wache oben haben.

„Der ist in den Hafen eingelaufen, wo sie keinen Anker mehr hieven!" keuchte Jackson. „Kommen Sie selbst, Sir, und sehen sich das an!"

In der Meinung, Jackson wolle ihn foppen, sprang der Maat voller Wut herab. Beim Anblick des brennenden Körpers aber fuhr er zurück, wie von einer Kugel getroffen. „Mein Gott!" rief er und hielt sich an der Leiter fest.

„Pack an!" sagte Jackson schließlich zu dem Grönländer, „der muß über Bord. Steh nicht da und zittre wie ein Hund, pack an, sag ich. Aber stop!" Damit erstickte er alles mit der Bettdecke und zog den Körper ein Stück weit aus der Koje heraus.

Ein paar Minuten später fiel er aufspritzend in die phosphoreszierend funkelnde nächtliche See und zog, während er versank, ein flimmerndes Kielwasser hinter sich her.  - Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. In: H. M., Redburn, Israel Potter und sämtliche Erzählungen. München 1967 (zuerst 1849)

Leichnam, lebender (2)
 

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