eichenmißbrauch Die Frau fängt an und schaukelt eine Weile und die Alte hat viel Spaß daran, ihr zuzuschauen. Dann steigt die Frau vom Schaukelbrett herunter und fragt nun ihre Schwiegermutter, ob ihr das Schaukeln nicht auch Freude machen würde; sie könnte sie ja zugleich halten und schaukeln. Die Alte leugnet nicht, daß sie Spaß daran haben könnte; so setzt sie sich mit Hilfe ihrer Schwiegertochter auf das Schaukelbrett, und die hält sie auch eine Weile fest. Aber als sich die Alte dessen am wenigsten versieht, gibt die Frau der Schaukel einen Stoß und läßt zugleich die Alte los, so daß sie von der Schaukel herabfällt und weit weg mit dem Kopf auf einem großen Stein bei der Hausschwelle aufschlägt und sich den Hals bricht. Sie ist mausetot, und die Frau nimmt sie auf, trägt sie in ihr Bett und deckt sie ordentlich zu und läßt alles so, bis am Abend die Brüder heimkommen. Da fragt Loft, was mit seiner Mutter los sei, sie habe ihm gar keine Antwort gegeben, als er sie grüßte. Die Frau sagt, sie sei wohl schon eingeschlafen, denn ihr sei an diesem Tag ein wenig übel gewesen. Sonst geschah nichts weiter.
Am Morgen danach ruderten die Brüder hinaus, aber die Frau nimmt die Leiche ihrer Schwiegermutter, macht sie zurecht und zieht sie an wie gewöhnlich, geht mit ihr in die Kammer, die Loft hatte, schließt dort eine große Truhe auf, in der er Tabak und Branntwein aufbewahrte. Dort läßt die Frau die Alte vor der Truhe niederknien, steckt ihren Kopf unter den Truhendeckel, gibt ihr in eine Hand eine Rolle Tabak, die sie etwas zerdrückte, und in die andere Hand ein Messer, so als ob sie Tabak abschneiden und stehlen wollte. Sie läßt die Kammertür halb offenstehen, als am Abend schon fast in der Dämmerung Loft nach Hause kommt. Er ist ziemlich ärgerlich, als er zu der offenen Kammer kommt, denn er selber hielt sie immer sorgsam verschlossen. Er geht hinein und wird noch zorniger, als er sieht, daß seine Schatztruhe offensteht und eine Frau davor kniet und ihm Tabak aus der Truhe stiehlt. Vor Wut kann er sich nicht mehr beherrschen, packt ein großes Messer, das er da in der Kammer hatte, und stößt es durch diesen ungebetenen Besucher. Die Alte fällt sogleich um, und nun erkennt er seine Mutter. Man kann sich denken, daß es Loft schrecklich elend zumute wurde, weil er seine Mutter ums Leben gebracht hatte, und er beschließt, seiner Frau von seinem Unglück zu erzählen. Die Frau war ganz entsetzt über die Untat, sagte aber, sie würde versuchen alles zu verheimlichen, und brachte den Leichnam in das Zimmer der Alten, ohne daß die anderen Brüder etwas davon merkten.
Am nächsten Tag, während die Brüder auf See sind, nimmt die Frau die Alte und geht mit ihr zu einem Vorratsraum, den Björn für sich allein hatte und in dem er Trockenfisch und Haifisch aufbewahrte. Da richtet die Frau die liebe Alte wieder her und putzt sie heraus und laßt sie auf die Knie nieder, und in der einen Hand hält sie einen Streifen Haifisch und in der anderen ein Messer. Am Abend, als die Brüder heimkommen und sich nun etwas ausruhen wollen, geht Björn mit irgendetwas in den Vorratsraum; da sieht er dort eine Frau mit einem Kopfputz, die ihm Haifisch aus dem Vorratsraum stiehlt. Da packt er ein großes Fischermesser und durchbohrt sie damit, aber er merkt erst, als sie umfällt, daß dies seine Mutter ist. Ihm wurde ganz erbärmlich zumute, weil er seine Mutter umgebracht hatte, und da geht er zu seiner Schwägerin und bittet sie um alles in der Welt, diese Untat zu vertuschen, die hier geschehen ist. Die Frau ist ganz entsetzt darüber, aber sie sagt doch, sie werde es verheimlichen, wenn es ihr möglich ist.
Am Tag danach rudern die Brüder wieder aufs Meer. Die Frau nimmt die Leiche
der Alten und trägt sie zum nächsten Haus. Nun war es so, daß dort der Amtmann
wohnte. Zwischen dem Amtmann und den Eltern der drei Brüder hatte immer große
Freundschaft bestanden, und es sah danach aus, als ob es zwischen dem Amtmann
und Loft genauso sein würde. Der Amtmann hatte einen Widder, auf den er Wunder
wie stolz war; er ließ ihn an den besten Stellen auf der Hauswiese grasen und
ging oftmals am Tag zu seinem Vergnügen hin zu ihm. Nun traf es sich so gut,
daß Lofts Frau mit der Leiche der Alten, ohne daß es jemand bemerkte, gerade
zu der Stelle kam, an der der Widder graste. Sie putzt nun die Alte heraus und
macht sie zurecht. Dann tötet sie den Widder, legt ihn auf den Rücken und beugt
die Alte so über ihn, daß es aussieht, als ob sie die Eingeweide herausnähme.
Sie selbst macht sich davon, und niemand hat etwas von ihr bemerkt. Als der
Amtmann am Morgen auf den Beinen ist, muß er zuerst wieder nach seinem lieben
Widder schauen. Da sieht er, wie dort eine Frau sitzt, und er meint, daß sie
den Widder ausnimmt. Er wird zornig über das, was die Alte da macht, zieht sein
Schwert, das er an der Seite trägt, wie es damals Brauch war, und durchbohrt
damit die Frau. Als aber die Frau umfällt, merkt er, daß das seine alte Freundin
ist. Ihm war es ganz schrecklich, daß er diese Schuld auf sich geladen und aus
einer so geringen Ursache zum Mörder eines Menschen geworden war, und noch dazu
gerade bei dieser Frau. Er schickte deshalb nach ihrer Schwiegertochter, denn
die Brüder waren auf dem Meer, erzählte ihr die ganze Sache und bat sie um alles
in der Welt, irgendwie dafür zu sorgen, daß die Alte begraben würde und man
ihn nicht wegen des Mordes an einer Frau anklagte, und er bot ihr eine große
Menge Geld dafür an. - Märchen aus Island. Hg.
Kurt Schier. Augsburg 1998 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)
Leichenmißbrauch (2)
- Hans Bellmer
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