Leiblichkeit, weibliche   Die steinzeitliche Aua war dick, nein: fett, geradezu unförmig. Es hing ihr der Arsch in die Knie, was aber durchaus dem steinzeitlichen Schönheitsideal entsprach, das wie alles von Frauen bestimmt wurde. So hat das Bekenntnis zur Kurzbeinigkeit die Urform der Vasen geprägt, denn Auas Köpfchen drehte sich vergleichsweise nichtig über den runden, nur wenig Hals erlaubenden Schultern. Ein über die Ufer tretendes Fleisch. Überall schwellend gepolsterte Geniste, Kuhlen und Kühlchen, wie bereit, Moos anzusetzen. Wo heute der gymnastische Zwang dem weiblichen Schenkel ein langweiliges Straffsein befiehlt, war Auas Schenkel, weil ihm zwischen Knie und Scham immer wieder neuansetzende Wülste einfielen, reich mit Grübchen, den Güteprägungen urförmiger Schönheit besiedelt. Überall Grübchen. Und wo der Rücken sich zum Gesäß entschloß, ließen sich dichtbesiedelte Ballungsgebiete nachweisen.

Auas Ausmaße fanden sich allenfalls bei der Nonne Rusch wieder, die ihren Fettmantel pflegte - sei es der Wärme wegen, von der sie gern abgab, sei es, um ihrem Gelächter die gehörige Resonanz anzureichern. Es lohnt sich aufzuzählen, was alles an der dicken Gret wabbelte und sich zu Falten verzog, sobald aus ihr urplötzlich Gelächter brach, Glucksblasen warf und ihren gewaltigen Leib bewegte: Das viermal gewölbte Kinn, ihre Backen, Neben-und Überbäckchen, die gleich Bastionen umgreifenden, bis ins Rückenfett verlagerten Brüste, der Bauch, der wie allzeit schwanger jedes Tuch aus den Nähten sprengte, und ihre hellbeflaumten Oberarme, die einzeln so umfänglich waren wie die hochgotische Taille der Dorothea von Montau.

Doch bevor ich Dorothea mit Sophie vergleiche - die eine wie aus Glas geblasen, die andere spillerig flach, doch beide gleich zäh - will ich daran erinnern, daß Amanda Woyke insgesamt der Kartoffel nahestand: handlich, knollig und fest im Fleisch. Ähnlich kompakt, doch kurzwüchsiger war Mestwina, während Wigga schon früh ihrem starken Knochenbau nachgab und mehr aufs Gerüst als aufs Fleisch hielt. Lena Stubbe hingegen, die mit Apfelfrische begann, blieb sich treu, so daß sie im hohen Alter noch immer an ein Äpfelchen erinnerte, wenn auch geschrumpft. Dorothea war ohne Gewicht. Eine flüchtige Erscheinung, schmerzlich, weil von sinnloser Schönheit. Fleischlich war sie so knapp ausgestattet, daß sie den Stallziegen glich, die im März, sobald die Futterspreu ausgeht, nur noch Phantom sind und Kinderschreck. Wenn sich gelagertes Fett rundum faßbar beschreiben läßt, kann das wenige Fleisch der Dorothea von Montau nur auferstehen, indem ich die Räume messe, die es besetzt hielt. Ihre weiten, jede Bewegung steigernden Gewänder. Ihre Kostümanleihen bei den Bresthaften, wenn sie vom Leichnamsspital in Lumpen zurückkam oder in schweißnasse Stcrbelaken gehüllt. Doch wenn kein Fleisch, ihr Haar hatte Gewicht. Weißblond aufgelöst hing es ihr bis in die Knie. So, Wind in den Tüchern, im Haar, nahm sie Raum ein, schritt sie die Gassen leerend, schüttelte sie Ekstase, lag sie, ein zuckendes Bündel Sackleinen, über das sich Haare ergossen, zwischen den Bettlern von Sankt Manen oder geisterte sie bei Bodennebel vor den Toren der Stadt: nach Erscheinungen läufig.

Selbst dort, wo sich ohnehin kein Mann hat verlieren können, war Sophie eng bemessen. Platt, eckig, von knäbischer Anmut, auf Hüpf- und Schlenkerbeinen, ein zähes, biegsames, aber auch peitschendes Weidengeäst. Sophies Ausmaße? Abgesehen von ihrer platzfordernden Stimme, zählt nur ihr federnder Schritt, der sich immer voraus war. Und selbst als altes Fräulein blieb sie ein Handchenvoll; freilich eines, das ausreichte, um als geballte Ladung die Küche in die Luft zu sprengen und jene bis heute umlaufende Forderung nach einst verlorenem Frauenrecht freizusetzen. Und Agnes? Die wog nicht. Die sah nicht aus. Die war nur auf Bildern zu sehen, die der Maler Möller gernalt und zerstört hat..Sie soll (das deutet Opitz an) kraushaarig gewesen sein. Ich erinnere ihre Barfüße. Manchmal hoffe ich, wenn leise die Tür geht: Agnes kommt - aber immer kommt Ilsebill und bringt sich mit.

Jetzt füllt sie meinen Entwurf, der auf flachem Land liegt. Der Teller mit Himmel drauf. Niedriges Regengewölk und ähnlicher Eintopf. Schon rollen die Augen von Rand zu Rand. Weil ich Agnes nicht fassen kann, lege ich Ilsebills Leib hochschwanger auf das Werder zwischen Käsemark und Neuteich, wo die Weichsel mit ihrem Himmel drüber freie Luftbilder erlaubt, oder hier, zwischen Brokdorf und Wewelsfleth, auf die eingedeichte Wilstermarsch. Im Rücken immer den Fluß, liegt meine Ilsebill. Ein träges Strandgut nach weiblichem Maß. Das Fleisch mit seiner Grübchenaussaat rechtshüftig gelagert, so daß ihr Becken hochkant den Himmel sperrt. Genau dort stützt ihr gewinkelter Arm ab, wo die Männer mit ihren Aktentaschen voller Gutachten das Atomkraftwerk geplant haben. Quer liegt sie allen Plänen. Eine ihrer Brüste neigt sich über den Deich. Ihr rechter Fuß spielt mit dem elbischen Nebenfluß Stör. Mit ihrem Gewicht wie auf immer gebettet. Unter ihr weg, wo sie das linke Bein winkelt, laufen Hochspannungsmaste breitspurig über das Land: die flüsternde Kraft, die alten Gerüchte, die Bernsteinsage, es war einmal.   - (but)

 

Körperbild Weiblichkeit

 

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