Bayard sagt, die Frage sei deshalb ein Tabu, weil sie von drei Dogmen umstellt sei: Lesen gelte immer noch als heiliger Akt. Einzig wer ein Buch von vorne bis hinten gelesen habe, dürfe behaupten, es zu kennen. Und nur dieser Leser habe ein Recht darauf, überhaupt ein Urteil abzugeben über das Buch. Bayard hält nun ein Plädoyer für das leberfrische Urteilen über ungelesene Bücher. Wobei er unterscheidet zwischen nicht gelesenen, vergessenen, durchgeblätterten und peripher erwähnten Büchern, also Büchern, von denen man schon mal gehört hat.
Dabei
will er keine Lanze brechen fürs kaltschnäuzige Bluffen und Ergoogeln
von Texten. Vielmehr geht es ihm darum, den Leser zu befreien vom
lähmenden Respekt vor dem Werk und dessen Autor und selbstbewusst aus
dem eigenen Lektürekanon zu schöpfen. Wer ein Buch nur durchgeblättert
oder angelesen hat, kann darüber oft viel freier sprechen als
derjenige, der von Seite zu Seite gekrabbelt ist. Schließlich geht es
uns mit einem ungelesenen Buch wie dessen Autor - der kannte es
schließlich auch nicht, bevor er es geschrieben hat. -
Alex Rühle
, Süddeutsche
Zeitung vom 22. März 2007
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