Lebenswillen   1844 faßt er seine Lebensstimmung zusammen in die drei Worte tristesse, travail, espérance. Bitter klingt es 1845: «Ich habe meine Fähigkeiten verbraucht bei der verzweiflungsvollen Arbeit des Wartens.» Am 14. März 1850 endlich findet die Trauung mit Frau von Hanska statt. Drei Tage darauf schreibt Balzac: «Ich habe weder eine glückliche Jugend, noch einen blumigen Frühling gehabt; aber ich werde den glanzvollsten Sommer, den sanftesten Herbst haben.»

Solche Worte sind kennzeichnend für Balzacs Lebenswillen, für seine Hoffensfähigkeit, für seine Gabe, an die Traumbilder seiner Wünsche wie an Wirklichkeiten zu glauben. Aber als er diese Zeilen schrieb, stand ihm die letzte und furchtbarste aller Enttäuschungen bevor. Der Tod hatte schon die Hand auf ihn gelegt und warf ihn nach wenigen Monaten schweren Siechtums nieder. Balzac wollte an das Unvermeidliche nicht glauben. Vor Jahren hatte er in sein Notizbuch geschrieben: La mort est inevitable, oublions-la. Bis zuletzt, bis zur Agonie, verbannte er den Gedanken an den Tod. Sterbend soll er seinem treuen Arzt und Freund Dr. Nacquart gesagt haben: «Der menschliche Wille kann Wunder tun. Ich kann der Welt, die ich geschaffen habe, unsterbliches Leben geben. Am siebenten Tage will ich ruhen.» Und als der Arzt ihm sagt, er werde die Nacht nicht überleben: «Wenn Bianchon hier wäre, würde er mich retten.» Am Abend dieses Tages - es war der 18. August 1850 - besuchte Victor Hugo den Sterbenden. Jede Hoffnung war aufgegeben. Zur Wassersucht war Brand hinzugetreten. Balzac lag bewußtlos in seinem großen Mahagonibett. Das Gesicht war violett, fast schwarz, zur Seite geneigt, unrasiert; das offene Auge blickte starr. «Ich sah ihn im Profil; und er glich so dem Kaiser.» Ein Diener und eine alte Wärterin standen zu beiden Seiten des Bettes, aus dem der erstickende Geruch des schon verwesenden Körpers drang. Frau von Balzac war nicht zugegen. «Ich ging wieder hinunter», erzählt Hugo, «indem ich in meinem Geiste dies leichenfarbene Antlitz mitnahm; als ich den Salon durchquerte, kam ich an der (von David d'Angers geschaffenen) Büste Balzacs vorüber. Sie war unbeweglich, unerschütterlich, stolz und strahlte seltsam. Ich verglich den Tod mit der Unsterblichkeit.» In derselben Nacht starb Balzac. Die Züge des Toten sind von Eugène Giraud in einer Pastellskizze festgehalten worden.

- Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951

Lebenswillen (2)

Willen Lebendigkeit

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