Fast vierzig Jahre lang hat sie den größten Teil ihrer Zeit in der Wüste verbracht. Sie nächtigt allein auf einem Bett aus Steinen im Freien, denn es regnet so gut wie nie. Sie hat eine verbrannte, runzlige Haut, wie sie jenen Menschen eigen ist, die in trockenen Gegenden leben. Sie ist über einen Meter und achtzig groß. Obwohl sie so dünn ist, hat sie gerade, muskulöse Beine. »Auf die eigenen Beine kann man sich immer richtig verlassen.« Ihr blondes Haar hat sich in ein strähniges Weiß verfärbt, aber ihre blauen Augen sind klar und lebhaft, und ihr Gesichtsausdruck, der zeitweise ziemlich grimmig sein kann, verrät mädchenhafte Naivität und Lebenslust. »Ich spüre die ganze Zeit, wie Dinge in mir keimen. Und das in meinem Alter! Dagegen war ich als junges Mädchen sehr unproduktiv.« Sie ist fest entschlossen, hundert Jahre alt zu werden, und behauptet, daß Menschen, die weite Sachen tragen, länger leben als andere. Sie ißt sehr wenig; zu einem mehrtägigen Ausflug brachte sie ein Päckchen Trockenmilch, ein paar Dosen Thunfisch, eine Stange Quittenpaste und ein Bund Bananen mit. Sie ißt kein Fleisch und verschmäht sogar eine Tasse Brühe; einmal immerhin hat sie in einem Restaurant ein Schildkrötensteak heruntergewürgt.
1968 veröffentlichte sie ein kleines illustriertes Buch über
die Pampa mit dem Titel Geheimnis der Wüste. Sie ließ
es selbst drucken und kümmerte sich um den Vertrieb. »Kein Verleger
wird aus meinem Schädel Champagner trinken.« Das Buch lockte
Besucher aus aller Welt an, und seither sind sie und die Pampa
so etwas wie eine peruanische Institution geworden. Die meisten
Menschen in Lima können sich immer noch nicht dazu durchringen,
sie ernst zu nehmen. Für sie ist sie die »Verrückte mit den Linien«,
eine fanatische Einsiedlerin, eine regionale Sehenswürdigkeit,
die man auf der Fahrt nach Süden besichtigen sollte. Tatsächlich
ist es ein recht komischer Anblick, wenn die alte Frau oben auf
einer Aluminiumleiter sitzt und scheinbar ins Nirgendwo starrt
oder wenn sie die Wüste mit stählernen
Meßbändern vermißt. - Bruce Chatwin, Was
mache ich hier. Frankfurt am Main 1993 (Fischer - Tb. 10362,
zuerst 1989)
»Nein«, flüsterte ich.
»Wie bitte ?« hauchte er - der Zug ratterte nämlich sehr laut.
»Nein«, flüsterte ich noch einmal.
»Es hätte ja sein können. - Nun, wir machten erst Versuche mit toten Wanzen, dann mit lebenden. Als ich einmal aus dem Haus ging, hat dieser Simpel Leisentritius sämtliche Versuchstiere aus Unachtsamkeit entkommen lassen - sie krochen überall herum, leider auch über meine Pläne und Konstruktionszeichnungen, und radierten alles aus. Beim Heimkommen fand ich sozusagen mein Lebenswerk vernichtet -«
»Dann haben Sie ihn erschlagen -« flüsterte ich.
»Leisentritius ? Aber nein -« - (
ruin
)
Im Nu hatte er mich mit einer Hand, die rot besudelt war, an der Schulter gefaßt, herumgedreht und kopfüber in mein Zimmer zurückgeschleudert. Er packte mich, als wäre ich ein kleines Kind. Ich fiel zu Boden, und die Tür schlug zu und verbarg mir sein erregtes und verzerrtes Gesicht. Dann hörte ich, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde und Montgomery schimpfte.
»Die Arbeit eines Lebens ruinieren!«
hörte ich Moreau sagen. -
H. G. Wells, Die Insel des Dr. Moreau. München 2009 (zuerst 1896)
- Werke des Epikur, nach
(diol)
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