ebensüberdruß
Es war ein warmer Sommer. Mein Lebensüberdruß trieb mich in die Einsamkeit.
Ich war wieder oft zupferde. Ich ritt eines Tages unter einer versengenden Sonne
ins Gespenstertal hinein. Die steil abfallenden Felsen erschienen duff und staubig
in der weißen unelastischen Luft. Ich stieg vom Pferde, glitt zum Fluß hinab,
beschaute beim Rhythmus einer melankolischen akkorddurch-webten Melodie die
runden Kiesel und die gelben Sonnenreflexe der Wellen auf dem Grunde des Wassers
und die Jagd der tausend kleinen Forellen, die kaum fingergroß, neugierig nach
mir und dem braunen Pferde waren. Die Melodie kam aus mir. In der Luft war kein
Ton. Die reine Ursache war das pulsende Blut in mir, dies nackte Leben, das
mit wertlos und lästig erschien. Ich warf kleine Holzspäne ins Wasser. Die Fische
schnappten danach und spieen sie wieder aus. Ich spie, als wäre ich einer der
ihren, ins Wasser. Sie stürzten sich gierig auf meinen Speichel und fraßen ihn.
Ich spie mir in die Hand und reichte sie dem Pferde. Es leckte gierig diese
Hand. Ich war nicht so gering, als daß nicht arme Kreaturen von mir begehrten.
Ich war nicht so gering, daß nicht Vögel und Hunde mein Fleisch gefressen hätten.
Ich würde mit meinem Körper einen Löwen satt machen. Das Pferd ging mit den
Füßen in den Fluß und kühlte sich und trank von dem Wasser. Ich dachte, es müßte
hungrig sein und beschloß, ihm eine schöne Wiese zu suchen. Es würde fressen,
mir zu Häupten und an meiner Seite und zu Füßen, wenn ich in der Sonne läge.
Vielleicht würde es auf mich treten aus Nachlässigkeit oder sich rächen, eingedenk
der Zeit, da ich es gepeinigt mit Unvernunft, die eine fremde Liebe verschuldet
hatte. Es brauchte nur eine Kleinigkeit in mir zu zerreißen. Ich würde verenden.
- Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)
Lebensüberdruß
(2)
An manchen Tagen
verdrießt es ihn daß er sich das Vergnügen an seinen Notizen vorgeworfen
hat. Die Gelegenheiten, den Lebensekel zu vergessen, sind allzu selten
um sie sich entgehen zu lassen.
Und er denkt in diesem Zusammenhang an einen früheren Autor der schrieb sein Spleen
sei eine physische Tristesse. Man muß sehr groß sein und sehr
lebensüberdrüssig, um sich eine so bescheidene Definition zu leisten.
- (rp)
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