ebenstraum Er
steht da mit einem Arm in seinem Mantelärmel und den Hut nach hinten und
beginnt laut von der Riviera, von der Sonne, von einem mit Nichtstun verbrachten
Leben zu träumen. «Alles, was ich vom Leben verlange», sagt er, «sind ein
paar Bücher, ein paar Träume und ein paar Pritschen.» Während er das nachdenklich
murmelt, sieht er mich mit dem sanftesten, hinterhältigsten Lächeln
an. «Gefällt dir dieses Lächeln?» fragt er. Und dann, angeekelt: «Mein
Gott, wenn ich bloß eine reiche Pritsche finden könnte, um sie so anzulächeln!
Nur eine reiche Pritsche kann mich jetzt noch retten», sagt er mit
einem Ausdruck äußersten Überdrusses. «Man wird es müde, ständig hinter
neuen Pritschen herzujagen. Es wird mechanisch. Die Schwierigkeit, siehst
du, besteht darin, daß ich mich nicht verlieben kann. Ich bin ein zu großer
Egoist. Die Weiber helfen mir nur zu träumen, das ist alles. Es ist ein
Laster wie Trinken oder Opium. Ich muß jeden Tag eine neue haben; wenn
nicht, werde ich krank. Ich denke zu viel». - (krebs)
Lebenstraum (2)
Lebenstraum (3) Der Mann war als Schafdieb in der ersten Nachkriegszeit vorbestraft. Jetzt vermittelte
er, soweit bekannt, lediglich Kredite zu Wucherzinsen. Zum Kontaktmann gab er
sich teils aus innerer Berufung und teils in der
trügerischen Hoffnung her, auf diese Weise bei seinem Geschäft Straffreiheit
zu genießen. Ein Geschäft, das er im Vergleich zu schwerem Raub für redlich
und verständig hielt, so recht ein Geschäft für einen Familienvater. Seinen
früheren Viehraub nannte er eine Jugendsünde. Denn ohne eine Lira eigenen Kapitals
brachte er es jetzt nur dadurch, daß das Geld anderer durch seine Hand ging,
fertig, seine Frau und drei Kinder zu ernähren. Er legte Geld beiseite, um es
morgen in ein kleines Geschäft zu stecken. Hinter einem Ladentisch zu stehen
und Stoff abzumessen, war nämlich der Traum seines Lebens. Aber von seiner Jugendsünde,
von der Tatsache, daß er im Gefängnis gesessen hatte, war das bequeme und einträgliche
Geschäft, das er jetzt betrieb, abhängig. Denn die, die ihm ihr Geld anvertrauten,
unverdächtige Ehrenleute, die viel von sozialer Ordnung und Hochämtern hielten,
rechneten auf seinen Ruf, damit es die Schuldner bei ihren Zahlungen nicht an
Pünktlichkeit und an dem gebotenen Schweigen fehlen ließen. Und tatsächlich
zahlten die Schuldner aus Angst vor dem Vermittler hundert Prozent Wucherzinsen,
und zwar pünktlich zum Termin. «Ich hab meine Jacke im Ucciardone hängen lassen»,
pflegte er zu spaßen oder zu drohen. Wenn er also jemanden umbrachte, sollte
das heißen, würde er die Jacke im Zuchthaus von Palermo wieder abholen. In Wirklichkeit
aber brach ihm beim Gedanken an dieses Zuchthaus der kalte Schweiß aus. -
Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. Zürich 1991
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